Predigten Januar - Ev.-luth. Christus-Gemeinde Spetzerfehn

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Predigten Januar

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Predigt über Sprüche 4, 23; Sexagesimae; 31.01.2016  

 
Liebe Gemeinde, ich hab‘ eine Matroschka mitgebracht, so’ne russische Puppe – wenn man sie öffnet, dann kommt noch eine zum Vorschein, und wenn man die aufmacht, dann kommt wieder eine usw. Daran will ich etwas zeigen. Wir alle haben sozusagen eine Außenhülle. Einen Körper, mit dem sitzen wir gerade hier.  Manchmal sieht man schon von weitem am Gang oder an der Körperhaltung, wer da steht. Manchmal können wir am Körper auch sehen, wie’s jemandem geht. Wenn einer verheulte Augen hat, dann ahnen wir, dass es ihm nicht so gut geht. Und manchmal sieht man am Gesicht schon was, was noch keiner wissen soll. Ich hab mal einer Frau zu ihrer Schwangerschaft gratuliert. Und die hat mich mit ganz großen Augen angekuckt und hat sich total gewundert, woher ich das weiß, es sei ja noch ganz am Anfang. Ich wusste das ja nicht wirklich, aber vom Gesicht her kam sie mir anders vor als sonst, irgendwie weicher, und das war bei Ulrike auch immer so. Irgendwie hab ich da wohl ’nen Blick für. Vielleicht kann ich nachher beim Kaffee noch für die eine oder andere Überraschung sorgen ;-)  

 
Aber wir bestehen nicht nur aus dem, was man von außen an uns sehen kann, sondern das ist fast so wie bei so einer Matroschka: wir haben verschiedene Schichten, die uns ausmachen. Wir haben auch eine Innenwelt, unsere Gedanken und Gefühle usw.
Beides gehört zu uns: unser Äußeres und das, was in uns ist.  Und beides muss im Gleichgewicht sein. Oft vergessen wir das aber. Weil wir oft vor allem außen-orientiert leben.  Unser Leben wird ganz oft von dem bestimmt, was von außen auf uns zukommt. Zum Beispiel von dem, was andere von uns erwarten. Auf der Arbeit und in der Schule. Oder auch in der Familie. Und ich glaube, da können jetzt vor allem viele Frauen unter uns ein Lied von singen: dass sie pausenlos gefragt und gefordert sind.

 
Von außen gesteuert leben, das ist oft ein Leben mit ganz viel gutem Willen.  Und das gibt es nicht nur auf der Arbeit oder in der Familie, das kommt auch oft in der Gemeinde vor. Dass wir möglichst viel geben und leisten wollen. Weil wir gefragt werden: Kannst du das wohl noch eem machen?  oder: Kannst du da noch eem aushelfen? Und weil man das auch wichtig findet und weil man die Fähigkeiten auch wohl hat, macht man es dann. Aber irgendwann wundert man sich, wenn’s nicht mehr geht. Und dann passiert das manchmal, dass ein Mensch dann entweder zusammenklappt oder auf einmal ausrastet. Richtig aggressiv wird – und alle wundern sich: „Wat hett de dann tomaol?!“  Oder plötzlich resigniert einer vor den kleinsten Herausforderungen. Und man wundert sich: er hat doch sonst immer alles geschafft. Oft passiert das dann, wenn wir zu lange außenorientiert gelebt und zu wenig auf unsere Innenwelt geachtet haben. In diesem Zusammenhang bin ich auf einen Bibelvers gestoßen, den ich so noch nie im Blick gehabt habe. Er steht im Buch der Sprüche: „Mehr als alles andere hüte dein Herz, denn von ihm geht das Leben aus.“

 
Wenn die Bibel von „Herz“ spricht, dann meint sie nicht das faustgroße Organ, das das Blut durch unsere Adern pumpt und uns mit Sauerstoff versorgt. Sondern in der Bibel ist der Begriff „Herz“ eine Beschreibung für unsere innere Welt.  „Herz“, das ist der Sitz der Persönlichkeit. Zum Herz des Menschen gehören zum Beispiel seine Gefühle. Die Ängste, die Freude, unser Temperament. Zum „Herz“ im biblischen Sprachgebrauch gehört auch unser Verlangen und Begehren. Alle rationalen und intellektuellen Fähigkeiten. Auch unser Gewissen. Unsere Fähigkeit zu planen, zu entscheiden. „Mehr als alles andere hüte dein Herz“ – das bedeutet dann also: Wir sollen unsere Gefühle und unseren Verstand behüten, unseren Willen, unser Empfinden, unser Wissen, unser Begehren.  Und hier merken wir schon, wie tief dieser Vers heute in unser Leben hineingreift. Kein Bereich bleibt davon ausgespart. Die Frage ist: achten wir auf unser Innenleben, oder achten wir vor allem darauf, dass äußerlich alles stimmt?  Dass wir nach außen hin einen guten Eindruck machen, das ist uns normalerweise ganz wichtig. Dafür stehen wir morgens schon stundenlang im Badezimmer, jedenfalls die Frauen, wir Männer können das etwas schneller. Und dass wir für unser Äußeres viel tun, das ist ja in Ordnung so. Aber genauso wichtig ist es, dass wir für unseren inneren Menschen, für unser Herz, sorgen. Dass wir wissen, nach welchen Maß-
stäben wir leben sollen. Damit unser Innenwelt nicht durcheinander kommt. Aber was
heißt es denn jetzt, unser Herz zu behüten? Zwei Bereiche sind da ganz wichtig.

 
1.: Schütze dein Herz vor äußeren Einflüssen, die es verletzen oder verschmutzen.
Es gibt eine ganz starke Verschmutzung unserer Innenwelt durch Dinge, die von außen in mich eindringen. Bilder, die ich in mich aufnehme, Dinge, mit denen ich mich beschäftige, Einflüsse, denen ich mich aussetze, beeinflussen mein Denken, Fühlen und Wollen. Es ist nicht egal, was ich mir im Fernsehen anschaue und welche Seiten ich im Internet aufrufe. Es ist nicht egal, welche Computerspiele unsere Kinder beeinflussen. Die Sachen, denen ich mich aussetze, die prägen mich. Ab und zu kommt es vor, dass Frauen mich fragen: ‚Wie soll ich damit umgehen? Mein Mann sieht mich kaum noch an und er fasst mich kaum noch
an – aber ich hab rausgekriegt, dass er abends oft Pornoseiten im Internet aufruft. Und ich habe Angst, dass unsere Liebe dadurch kaputt geht.’  Und wer sich mit Genuss reinzieht, wie in bestimmten Fernsehshows Menschen runtergemacht und bloßgestellt werden, der wird über kurz oder lang von einem solchen Müll geprägt. An vielen Stellen in unserer Gesellschaft wird Müll in unsere Innenwelt, in unser Herz, entsorgt. Darum sollten wir immer mal wieder überprüfen und uns fragen: Was prägt mich, wovon lasse ich mich prägen? Ganz bewusst und willentlich. Denn ich entscheide ja, jedenfalls in vielen Bereichen, was ich in mir aufnehme.  

 
Es können aber auch Menschen sein, die mich prägen. Ihre Worte, die einen Einfluss haben auf meine Innenwelt. Wir leben ja in einer Welt, in der wir ganz oft suggeriert bekommen, dass wir so, wie wir sind, nicht gut genug sind. Dass wir nicht genügen, dass wir nicht ausreichen. Wir müssen immer noch besser werden. Und wenn dann jemand abschätzig über uns sagt: „Ach, der...“, dann vergiftet und lähmt das unser Herz. Das hat Auswirkungen, wenn wir Kindern sagen: „Ach, du kannst das nicht!“ Das wird ihr Herz prägen und sie werden ihr Verhalten danach ausrichten.  Manchmal kann es nur ein Wort sein, was in unsere Seele fällt, das uns verletzt und dass wir uns dann zurückgesetzt fühlen und das ist oft nicht leicht, dass wir das wieder loswerden. Und darum ist es wichtig, dass wir möglichst achtsam mit unseren Worten umgehen und nicht immer gleich alles raushauen, was wir gerade auf der Zunge haben. Und ihr könnt mir glauben – ich weiß, wovon ich rede!    

 
Manchmal ist es auch dran, sich von Menschen zu distanzieren und zu sagen: die tun mir nicht gut, das verletzt mich, das vergiftet mich, das macht mich innerlich kaputt. Und dann ist es wichtig, auf Distanz zu gehen. Und als Gegenmittel zu all dem, was unser Herz belastet, als Gegenmittel ist es wichtig, dass wir immer wieder Gottes Wort in unser Herz fallen lassen. Und Gott sagt: Du bist liebenswert! Du bist mein Sohn, du bist meine Tochter! Und manchmal brauchen wir das richtig, dass wir zu Gott gehen und zu ihm sagen: ‚Gott, ich brauch das, dass du mir das noch mal sagst und dass ich das noch mal spüren kann, dass
du mich lieb hast – denn ich kann das gerade nicht glauben, es ist nicht mehr in meinem Herzen. Ich möchte, dass du das wieder zu mir sagst.’  „Hüte dein Herz.“ Achte auf das, was an Einflüssen von außen auf dich zukommt.

 
(2.:) Jetzt komme ich sozusagen zum Vorsorgebereich – zur Entwicklung und Stärkung unseres Herzens. Wenn unser Herz, und jetzt meine ich die „Pumpe“, wenn unser Herz gestärkt werden muss, dann gehen wir vielleicht in die Muckibude oder joggen, manche nehmen auch ‚Doppelherz‘ oder andere Sachen. Egal wie – viele haben die Erfahrung gemacht: wenn mein Herzmuskel trainiert wird, dann hat das positive Auswirkungen auf mein ganzes Leben: ich habe mehr Ausdauer, bin nicht so schnell aus der Puste, fühle mich besser. Und wenn wir unser „inneres Herz“ trainieren, dann wird sich ein ähnlicher Effekt einstellen: wir werden uns dem, was von außen auf uns zukommt, besser entgegen stellen können. Besser beurteilen können, was gut für uns ist oder was wir kritisch sehen sollten.

 
Dass unser Herz gestärkt wird, das können wir beeinflussen. Dazu gehört eine bewusste Entscheidung, dass wir immer mal wieder innehalten und ehrlich werden vor Gott und sagen: „Herr, hier ist mein Herz, meine Seele. Du musst manches verändern in meinem Denken, auch manche Gefühle müssen vielleicht geheilt werden.“  Dass wir ehrlich werden vor Gott und dass wir ihm sagen, was uns zu schaffen macht, das ist darum so wichtig, weil unser Herz sozusagen immer wieder in Unordnung gerät.   König David hat ja ziemlich viel Müll in seinem Leben angesammelt, manche wissen das. Sein Leben war ja wie’ne Achterbahnfahrt. Er hatte wahnsinnig erfolgreiche Phasen – aber er ist auch entsetzlich tief gestürzt. Und in einem Psalm betet er: „Reinige mein Herz“. Mach mich rein, denn ich hab mich so in inneren Schmutz verstrickt, dass ich da nicht von alleine rauskomme.  Wichtig ist, dass wir solche Herzens-Hygiene beständig üben. Nicht im Sinne eines „muss“ – so als fromme Pflicht, damit wir Gott sozusagen einen Gefallen damit tun. Sondern viel mehr in dem Sinne, dass wir uns damit selber etwas gönnen. So wie wir uns täglich waschen und duschen vielleicht, dass wir so unser Herz auch immer wieder reinigen. Dass wir uns bewusst auch regelmäßig um unsere Seele, um unser Herz kümmern. Und dass wir dem auch eine Wichtigkeit einräumen vor anderen Dingen. Dazu gehört auch, dass wir so gut es geht den Rhythmus einhalten, den Gott für unser Leben geschaffen hat. Auch die Ruhepausen, besonders auch den Sonntag. Und darum habt ihr euch gut entschieden, dass ihr heute hierhergekommen seid! Weil gerade die Zeit in der Kirche, im Gottesdienst, so eine Phase sein kann, die den normalen Alltag durchbricht. Wo wir nichts tun müssen. Uns zurücklehnen können. Wo Gottes Wort uns angeboten wird. Wo wir uns nachher in der stillen Phase vor Gott aussprechen können. Aber auch außerhalb des Gottesdienstes ist es wichtig, dass du dir Gutes tust und auf dich achtest. Auch das gehört dazu, wenn du dein Herz behüten willst!  Und du wirst merken: dein Herz zu behüten, das wird dir tut tun! Das wird auch positive Auswirkungen auf dein äußeres Leben haben.

 
Ich will schließen mit einer Sache, die im Januar 2005 passiert ist: am 9. Januar bestiegen in Southhampton ungefähr 2000 Passagiere das Luxus-Kreuzfahrtschiff Aurora. Vor ihnen lag eine 103tägige Weltreise. Einige von ihnen hatten dafür ungefähr 60.000 Euro bezahlt. Aber dafür bekamen sie auch Luxus pur: Goldene Wasserhähne, teure Designermöbel, exclusive Kabinen, kulinarische Hochgenüsse, hochkarätige Unterhaltung. Das Schiff lag zum Auslaufen bereit. Doch dann verzögerte sich das Ablegen. Zuerst wurde eine zweistündige Verspätung angesagt, aber dann wurden daraus zwei Tage, dann fünf Tage, in denen es nicht losging.  385 Passagiere verließen wütend das Schiff.  Nach 9 Tagen lief die Aurora endlich aus. Aber die Fahrt dauerte nicht lange: am nächsten Tag erreichte die Passagiere die Hiobsbotschaft, dass die Kreuzfahrt endgültig abgebrochen werden müsse.  Was war passiert?   Das Antriebssystem der Aurora hatte gravierende Mängel. Deshalb erreichte das fast 300 Millionen Euro teure Schiff nicht die nötige Betriebsgeschwindigkeit. Anders gesagt: der Unterschied zwischen ihrer imposanten äußeren Erscheinung und ihrem inneren Zustand war der Grund dafür. Das Äußere des Schiffes war absolut glanzvoll. Vom Aussehen über den Service bis hin zu dem, was das Schiff alles zu bieten hatte.  Aber da, wo’s drauf ankam, im verborgenen Bereich der Technik, da war was kaputt gegangen – und dieser Schaden legte letztlich alles lahm. Der innere Zustand stand in keinem angemessenen Verhältnis mehr zur äußeren Ausstattung.  Das kann uns auch im Leben passieren. Wenn wir nur nach Außen orientiert sind und unser Innenleben vernachlässigen. Dann kann’s sein, dass es
irgendwann nicht mehr läuft. Und damit das nicht passiert, „hüte mehr als alles andere dein Herz, denn von ihm geht das Leben aus.“  Amen.  

 

 
          

 
    

Predigt über Johannes 4, 5-18; Septuagesimae; 24.01.2016

 
Liebe Gemeinde, es war auf einer meiner Reisen als Bordseelsorger. Jemand bat mich um ein Gespräch und als wir bei einer Tasse Kaffee beieinander saßen, erzählte derjenige mir von seinem Leben. Natürlich – es hatte so manches Hoch gegeben, aber es war auch oft so gewesen, dass es ganz eng war. So manches war schiefgelaufen, und jetzt, weit in den 70igern, dachte er immer mehr über sein Leben nach. Und im Gespräch sagte er dann zu mir: „Ich weiß nicht ... manchmal frage ich mich schon, was das Ganze soll“.   „...manchmal frage ich mich schon, was das Ganze soll.“ Um diese Frage geht es auch in der Begegnung, von der wir in dem Predigttext hören, für den ich mich heute entschieden habe. Ich lese aus Joh 4, 5-18:  ‚Jesus verließ Judäa und ging zurück nach Galiläa.’ Dabei musste er durch Samarien ziehen. Unterwegs kam Jesus in die Nähe des Dorfes Sychar, das nicht weit von dem Feld entfernt liegt, das Jakob einst seinem Sohn Josef vererbt hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen.  Jesus war von dem langen Weg müde geworden und setzte sich an den Brunnen. Es war gegen Mittag.  Da kam eine samaritische Frau zum Wasser holen. Jesus sagte zu ihr: ‚Gib mir einen Schluck Wasser!‘ ... Die Frau antwortete: ‚Du bist ein Jude, und ich bin eine Samariterin. Wie kannst du mich da um etwas zu trinken bitten?‘ - Die Juden vermeiden nämlich jeden Umgang mit Samaritern.  Jesus antwortete: ‚Wenn du wüsstest, was Gott den Menschen schenken will und wer es ist, der dich jetzt um Wasser bittet, dann hättest du ihn um Wasser gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.‘
‚Herr, du hast doch keinen Eimer‘, sagte die Frau, ‚und der Brunnen ist tief. Woher willst du dann das lebendige Wasser haben? Unser Stammvater Jakob hat uns diesen Brunnen hinterlassen. Er selbst, seine Söhne und seine ganze Herde tranken daraus. Du willst doch nicht sagen, dass du mehr bist als Jakob?‘  Jesus antwortete: ‚Wer dieses Wasser trinkt, wird wieder durstig. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird in Ewigkeit keinen Durst mehr haben. Ich gebe ihm Wasser, das in ihm zu einer Quelle wird, die bis ins ewige Leben weitersprudelt. Geh und bring deinen Mann her!‘  ‚Ich habe keinen Mann‘, sagte die Frau. Jesus erwiderte: ‚Es stimmt, wenn du sagst: 'Ich habe keinen Mann.' Fünfmal warst du verheiratet, und der, mit dem du jetzt zusammenlebst, ist nicht dein Mann.‘
  
Jesus weiß: diese Frau hat Durst. Aber nicht nur nach Wasser, sondern sie hat Durst nach Leben, Lebensdurst. Zwischen den Zeilen hört man raus: vieles ist schiefgelaufen! Durst nach Leben – das kennen wir heute auch. Und darum hat der Evangelist Johannes diese Begegnung zwischen Jesus und dieser Frau in seine Schilderung vom Leben Jesu aufgenommen. Er will sagen: Wenn es zu einer Begegnung mit Jesus kommt, dann geht es oft so zu. Und darum lasst uns mal kucken und fragen: Was ist an diesem Gespräch zwischen Jesus und der Frau am Brunnen so typisch?

 
Diese Begegnung war rein zufällig – und doch war sie gewollt.
Mit einer kleinen Bemerkung deutet der Text das an. Da steht: ‚Jesus verließ Judäa und ging zurück nach Galiläa.’ "Dabei musste er durch Samarien ziehen". Und dadurch kam er dann in die Nähe des Dorfes, wo er die Frau traf.  Jesus "musste“ durch Samarien ziehen. Das finde ich nun interessant: Jesus musste nicht darum durch Samarien ziehen, weil es vielleicht keinen anderen Weg nach Galiläa gab. Es gab schon einen anderen Weg, der Weg durch das Jordantal,  - und das war der Weg, den eigentlich jeder Jude nahm. Er ist zwar etwas weiter, aber dieser Weg hat zwei Vorteile: Erstens gibt es dort mehr Schatten, es ist also um einiges kühler und damit bequemer, diesen Weg zu gehen.  Der zweite Vorteil: man braucht nicht durch Samarien! Denn mit denen, die dort lebten, mit den Samaritern, da durfte man sich auf keinen Fall einlassen! Das war schon seit Generationen so - und darum nahm ein Jude eigentlich immer den Weg durch das Jordantal. Von Jesus heißt es nun, dass er diesen anderen Weg gehen "musste", und er musste diesen Weg nehmen, weil Gott das so wollte.
Gott ist nämlich brennend daran interessiert, dass Menschen in Kontakt mit Jesus kommen. Ihm über den Weg laufen. Ihm begegnen. So wie diese Frau, von der wir jetzt hören, dass sie sich auf den Weg macht zum Jakobsbrunnen, der in der Nähe des Dorfes Sychar liegt. Und auch das ist  -menschlich gesehen-  wieder ziemlich merkwürdig. Die Frau hätte eigentlich gar nicht so weit laufen müssen, um Wasser zu holen. Im Dorf selber gab es auch einen Brunnen, und es wäre für sie viel einfacher gewesen, dorthin zu gehen. Und auch die Uhrzeit macht stutzig: "Es war gegen Mittag!" Kein Mensch geht normalerweise mittags los, um Wasser zu holen. Dann ist es viel zu heiß! Jeder Schritt durch den heißen Wüstensand kostet Überwindung und strengt tüchtig an. Darum passen alle auf, dass sie Mittags nicht unterwegs sein müssen.  Aber diese Frau geht nun mitten in der heißen Mittagssonne ausgerechnet zu diesem Brunnen.  Und damit hat Gott nun sein erstes Ziel erreicht: Jesus und diese Frau treffen aufeinander! Müde von der Reise und durstig von der Hitze hatte Jesus sich an den Brunnen gesetzt. Und so haben sich der Weg von Jesus und der Weg dieser Frau gekreuzt! Jesus "musste" diesen Weg gehen, weil Gott das wollte, dass er auf diese Frau trifft. Und diese Frau "musste" in der Mittagsglut unterwegs sein, um hier Jesus zu treffen.  So macht Gott das bis heute: er sucht und findet immer wieder Möglichkeiten, dass sich der Weg von Jesus mit dem Weg eines bestimmten Menschen kreuzt. Und dabei kann er auch kleine Zufälligkeiten in seinen Dienst nehmen. Die Frau hat ja an diesem heißen Mittag nicht den verheißenen Messias gesucht. Sie war nicht auf der Suche nach dem Heiland, der sie auf ihre Lebenssehnsucht anspricht. Sie wollte nur Wasser holen. Aber dann wird daraus eine Begegnung, die ihr Leben verändert.  So ist das oft. Eine Frau aus unserer Gemeinde erzählte mir: Vor zwei Jahren hat unsere kleine Tochter die Einladung zur Tauf-Erinnerung hier in der Kirche bekommen. Wir hatten an dem Sonntag schon was anderes vor – aber sie wollte unbedingt hin und hat so lange gequengelt, bis wir dann hingegangen sind. Und dann hat sie ja eine Kinderbibel geschenkt bekommen – und nun musste ich ihr jeden Abend daraus etwas vorlesen. Als wir das Buch einmal durchhatten, da fing es wieder von vorne an. Dann wollte sie zum Kindergottesdienst – und ich fahr’ sie jetzt fast jeden Sonntag hin. Und oft gehe ich dann selber rüber in die Kirche. Früher war ich selten in der Kirche – aber jetzt merke ich, das mir das gut tut. ...  Da musste wohl ein Kind so herumquengeln, dass Mutter endlich nachgab.

 
Ein Mann erzählte mir, dass er die Einladung zur Silbernen Konfirmation, die ich ihm ge-
schickt hatte, weggeschmissen hatte. Er war schon lange aus der Kirche ausgetreten und hatte damit nichts am Hut. Drei, vier Tage vor der Silbernen Konfirmation begegnete er beim Tanken einem andern, der auch zu seinem Jahrgang gehörte. Der hatte sich angemeldet und wollte kommen. Und der hat an der Tankstelle dann noch mal bei dem andern nachgehakt, so nach dem Motto: Komm doch auch! Da sind so viele, die wir lange nicht mehr gesehen haben. Das lohnt sich alleine schon darum! Und dann ist er doch gekommen – und der ganze Tag hat ihn so fasziniert, dass er danach ziemlich oft zum Gottesdienst kam. Bis er von hier weggezogen ist. Es kam in eine heftige Lebenskrise – und hat dann Seelsorge in Anspruch genommen. Und hat gespürt: das hat mir Auftrieb gegeben! Inzwischen ist er wieder in die Kirche eingetreten – weil er es so wollte und weil er gespürt hat: da gibt’s was für mein Leben! – Da mussten wohl die beiden Männer zur gleichen Zeit zur selben Tankstel-
le fahren...   
Gott hat ungeahnte Möglichkeiten, damit Menschen Jesus Christus begegnen. Und immer hat er dabei auch Menschen im Blick, an die wir oft gar nicht denken. Von denen wir manchmal denken: Den- oder diejenige brauchst du gar nicht einladen – die kommen doch nicht: zur Silbernen Konfirmation, zur Tauf-Erinnerung, zum Frauenkreis, zum Männerfrühstück, zum Gottesdienst. Jesus hat diese Menschen im Blick! Und für ihn sind das keine hoffnungslosen Fälle! So etwas kennt er gar nicht!

 
Jesus weiß, was mit uns los ist!
Jesus erkennt die besondere Lage der Frau, in der sie sich befindet und er beginnt ein Gespräch mit ihr. Er bittet sie eigentlich nur um einen kleinen Gefallen: „Gib mir einen Schluck Wasser!“ Dadurch kommt es zu einem Gespräch – und wir merken: die Frau hat keinen Schimmer davon, wer Jesus wirklich ist. Dass dort, wo Jesus ist, dass dort Gott selbst ist. Der Fachmann für’s Leben! - Der Frau kommt das erst alles spanisch vor. Wie soll sie dem Mann Wasser geben – der hat doch gar keinen Eimer dabei?! Aber Jesus lässt sich davon nicht abhalten, dass diese Frau keine Ahnung von Gott und vom Glauben hat. Ganz behutsam kommt er ihr im Gespräch näher. Einfühlsam fängt er an, über die Dinge zu reden, die bei ihr obenauf liegen. Spricht mit ihr darüber, dass ihr Leben verkorkst ist, und es schon mit fünf Ehen nicht geklappt hat. Und ich finde es wirklich bemerkenswert, dass diese Frau diesem Gespräch nicht ausweicht. Sie hätte ja mit ihrem Wasserkrug weglaufen können. Sie hätte ja sagen können: Was geht dich eigentlich mein Leben an?! Aber sie bleibt. Und je länger das Gespräch dauert, desto mehr fällt Licht hinein in das Leben dieser Frau. Je intensiver Jesus auf die wunden Punkte ihres Lebens zu sprechen kommt, desto deutlicher wird es ihr selber, was sie quält. Sie hat ihr Glück gesucht. Nacheinander bei fünf Männern. Und nie hat sie das gefunden, wonach sie gesucht hat. Und als Jesus mit ihr spricht, da begegnet ihr jemand, der nicht mit Fingern auf sie zeigt, wie die andern im Dorf. Diese Frau spürt: Jesus macht mich nicht von oben herunter fertig!  Und das ist die Art, das ist der Charakter von Jesus, mit Menschen umzugehen und mit ihnen zu reden. Heute noch genau so wie damals. Er stellt sich neben uns und gibt uns zu verstehen: dir fehlt etwas, was ich dir geben kann! Die Frau lässt sich das von Jesus sagen. Und wenn man diesen Abschnitt weiterliest, dann sieht man: diese Frau erkennt ganz langsam, dass sie ihn, dass sie Jesus so nötig hat wie Wasser zum Leben. Damit sie das aussprechen und loswerden kann, was sie belastet!  Damit sie in Ordnung bringen kann, was in Unordnung geraten ist. Damit sie eine Chance bekommt, ihr Leben noch einmal neu in die Hand zu nehmen.
Ohne dass sie irgendein Wort gesagt hätte, weiß Jesus genau, wie es im Leben dieser Frau aussieht. Und das ist nicht bloß bei dieser einen Frau so! Das ist bei jedem anderen von uns genau so! Jesus weiß Bescheid über unser Leben. Über das, was schiefgelaufen ist. Über unsere Sehnsüchte. Vor ihm brauchen wir nichts zu verbergen. Nichts schönreden. Nichts besser machen, als es ist. Er weiß Bescheid. Und genau darum ist es für uns so wichtig, dass wir Ihm begegnen! Damit er anfangen kann, das zu tun, was bei uns jetzt nötig ist. Damit er uns "lebendiges Wasser" geben kann.

 
Erinnert ihr euch an meinem Gesprächspartner vom Schiff? Der, der sich fragt: „Was soll das Ganze?“ Bevor er sich von mir verabschiedete und wieder seiner Wege ging, sagte er: „Eigentlich sind die Leute zu beneiden, die an Gott glauben.“ Ja, da hat er wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Und darum ist Gott bis heute auf der Suche nach Menschen. Der erste Schritt geht von ihm selbst aus: Er hat dafür gesorgt, dass die Wege der Frau und Jesus sich kreuzen. Und das tut er bis heute: es gibt kaum jemanden hier bei uns, dem
Jesus Christus nicht mindestens schon einmal über den Weg gelaufen ist: wenn die Mama abends mit ihrem Kind gebetet hat; wenn im Kindergarten, im Kindergottesdienst die biblischen Geschichten erzählt wurden; im Konfirmandenunterricht, und bei vielen anderen Gelegenheiten. Wir sollten offen sein für solche Gelegenheiten. Unser Teil dazu beitragen, dass es zur Begegnung von Menschen mit Jesus kommen kann. Durch Gottesdienste, in denen das Leben vorkommt. In unsern Gruppen und Kreisen – dass welche, die neu dazukommen, auch merken: hier bin ich erwünscht!  

 
Aber ein Zweites darf nicht fehlen: als die Frau Jesus begegnete, da ist sie nicht gleich wieder weggerannt. Als er ihr auf den Kopf zusagt, was los ist in ihrem Leben, da hat sie nicht die Flucht ergriffen. Das ist also auch nötig: die Gelegenheit zur Begegnung mit Jesus wahrnehmen. Ihm die Chance zu geben, dass er uns das "lebendige Wasser" auch wirklich geben kann!  Wenn wir Durst haben und kucken uns eine Flasche Wasser nur von weitem an – dann werden wir unsern Durst nie gelöscht bekommen.   Das liegt dann aber nicht an dem Wasser, das liegt dann an uns. Und darum lautet die Einladung Jesu: „Wen da dürstet, der komme und trinke.“  Amen.

 
          

 
           ZUR AUDIOPREDIGT

Predigt über 2. Korinther 4, 6-10; Letzter Sonntag nach Epiphanias; 17.01.2016

Liebe Gemeinde, der Predigttext für heute steht im 2. Brief an die Korinther, 4, 6-10:
Denn so wie Gott einmal befahl: "Licht soll aus der Dunkelheit hervorbrechen!", so hat sein Licht auch unsere Herzen erhellt. Durch uns sollen nun alle Menschen Gottes Herrlichkeit erkennen, die in Jesus Christus aufstrahlt.  Diesen kostbaren Schatz tragen wir in uns, obwohl wir nur zerbrechliche Gefäße sind. So wird jeder erkennen, dass die außerordentliche Kraft, die in uns wirkt, von Gott kommt und nicht von uns selbst. Die Schwierigkeiten bedrängen uns von allen Seiten, und doch werden wir nicht von ihnen überwältigt. Wir sind oft ratlos, aber nie verzweifelt.  Von Menschen werden wir verfolgt, aber bei Gott finden wir Zuflucht. Wir werden zu Boden geschlagen, aber wir kommen dabei nicht um.  Tagtäglich erfahren wir am eigenen Leib etwas vom Sterben, das Jesus durchlitten hat. So wird an uns auch etwas vom Leben des auferstandenen Jesus sichtbar.
  
Eine Gemeinde sucht einen neuen Pastor. Der Kirchenvorstand hat schon einige Bewerber abgelehnt: der eine predigte langweilig, der andere war zu locker drauf, der dritte hatte eine zu eigenwillige Theologie, der vierte war zu dick.  Der Vorsitzende ist verzweifelt. Und in einer Sitzung sagt er: „Tja, nun habe ich hier nur noch eine Bewerbung. Aber sie klingt nicht besonders. Der Bewerber schreibt, leider sei er nicht ganz gesund und seine Krankheit habe ihm in der Gemeindearbeit schon öfter ernstlich zu schaffen gemacht. Und auch sonst sei er nicht gerade der ideale Pastor. Er habe zwar viel Erfahrung, aber er habe es nie sehr lange in seinen Gemeinden ausgehalten, nur ein einziges Mal seien es immerhin drei Jahre gewesen. Auch habe er öfter ernstlichen Streit mit Amtsbrüdern und bestimmten kirchenpoli-
tischen Gruppen in der Gemeinde bekommen. Organisation sei nicht seine starke Seite und er stehe in dem Ruf, gelegentlich sogar zu vergessen, wen er getauft habe.   Andererseits sei er aber ein guter Theologe, und er fühle eine Berufung zur Verkündigung des Evangeliums. Und wenn die Gemeinde es mit ihm versuchen wolle, dann wolle er ihr dienen, so gut er könne.  Der Kirchenvorstand ist empört. Wie kann es ein so kränklicher, offenkundig streitsüchtiger und gedächtnisschwacher Mann wagen, sich ernsthaft zu bewerben! Und die Abstimmung ergibt, dass man ihn erst gar nicht zur Probepredigt einladen will. Der Vorsitzende seufzt und schließt die Akten. „Ich habe mir das schon gedacht“, sagt er. „Aber Sie sollen doch wenigstens den Namen dieses komischen Vogels wissen. Es ist nämlich der Apostel Paulus.“  

 
Tatsächlich erging es dem Apostel Paulus damals in Korinth so ähnlich. In der Gemeinde waren Mitarbeiter aufgetaucht, die meinten: so eine schwächliche Figur wie er kann ja wohl kein glaubwürdiger Zeuge des Evangeliums sein. Dem fehlt doch jegliche Begabung. In seinen Briefen spuckt er große Töne, aber wenn man ihn dann ‘live‘ erlebt, ist er schwach. Der hat ja überhaupt keine Ausstrahlung und ist nicht voll heiligen Geistes. Und die ständige Änderung seiner Reisepläne zeigt doch, wie unzuverlässig er ist.  Solche Vorwürfe machten ihm seine Gegner in Korinth. Und wie sehr ihn das verletzt hat, kann man noch deutlich raushören, wenn man den 2. Korinterbrief liest. Er fühlt sich zu Unrecht kritisiert. Ausgerechnet er – der doch diese absolut umwerfende Erfahrung mit dem auferstandenen Jesus gemacht hatte.  Damals, als er gerade wieder auf dem Weg war, um eine Gruppe von Christen umzubringen. Da tritt ihm auf einmal Jesus in den Weg – und dadurch sieht Paulus sein ganzes Leben in einem anderen Licht, und er bekommt eine neue Berufung für sein Leben: statt Christen zu verfolgen, soll er nun Menschen in die Nachfolge Jesu helfen!
Und nun stellen Menschen diese Berufung infrage, weil er nicht ihrem Bild vom 'Super-
mann'-Apostel entspricht.   

 
Ich glaube, dass heute auch noch etwas ganz ähnliches geschieht. „Der ist Christ? - Wie kann es dann sein, dass seine Kinder derart aus der Art schlagen?!“ Oder: „Der ist Christ, wieso bekommt er dann sein Alkoholproblem nicht in den Griff?“  Oder: „Der machst ständig einen auf fromm, wie kann er dann manchmal so jähzornig sein.“  Was macht Paulus? Gegen einige Anschuldigungen setzt er sich zur Wehr, andere lässt er stehen. Er bekennt sich zu seinen Schwächen.  Das passiert selten, dass jemand zu seinen Defiziten steht.  Paulus kann das, weil er etwas Wichtiges erkannt hat: Er hat erkannt, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist. Dass Gott zerbrechliche Gefäße wie uns unvollkommene, zerbrechliche, oft wankelmütige Menschen dazu gebraucht, damit der Schatz des Evangeliums weitergegeben wird. Paulus schreibt: ‚Ich trage diesen Schatz in einem ganz gewöhnlichen, zerbrechlichen Gefäß. Denn es soll deutlich sichtbar sein, dass das Übermaß an Kraft, mit dem ich wirke, von Gott kommt und nicht aus mir selbst.‘

 
Zerbrechliche Gefäße‘ sind wir.  Auf der einen Seite ist das ernüchternd. Manchmal würden wir uns schon wünschen, dass etwas vom Glanz der Herrlichkeit Gottes auch bei seinem Bodenpersonal zu sehen und zu spüren ist.   Auf der anderen Seite: Ist das mit den zerbrechlichen Gefäßen nicht auch enorm entlastend? Wenn Gott mit so einem wie dem Paulus zurecht gekommen ist und ihn dazu gebrauchen konnte, dass Menschen zum Glauben an Jesus kommen, dann sollte er das doch eigentlich auch mit uns hinkriegen.  
Und tatsächlich: Gott vertraut uns trotz unserer Zerbrechlichkeit und trotz unseren Macken und Eigenheiten sein Wort an. Er lässt den hellen Schein des Evangeliums in unser Herz scheinen und will durch uns das Licht seiner Wahrheit leuchten lassen und in der ganzen Welt ausbreiten. Wir müssen keine Glaubenshelden sein, keine religiösen Hochleistungssportler, um überzeugende Christen sein zu können. Gott nimmt uns mit unseren Anfechtungen und Glaubenszweifeln, mit unserer Verletzbarkeit und Ängstlichkeit, mit unseren Niederlagen und unseren Ecken und Kanten in seinen Dienst. Und wahrscheinlich werden es einmal gar nicht die großen Reden sein, die wir gehalten haben, und auch nicht die besonderen Taten, die wir getan haben, die anderen Menschen in ihrem Leben ein Anstoß und eine Hilfe zum Glauben an Jesus gewesen sind. Es werden wohl eher die kleinen Gesten im Alltag sein: das Mut machende Wort einem Kind gegenüber, der Besuch bei einem kranken Nachbarn, die Geste der Versöhnung einem Arbeitskollegen gegenüber oder die Art und Weise, wie wir unseren Glauben im Alltag leben und aus ihm Kraft für unser Leben schöpfen. Ich muss dabei an meinen Vorgänger denken, Pastor Johann Wilken. Fast fünfzehn Jahre zunehmende geprägt von seiner Parkinsonkrankheit – Zerbrechlichkeit pur! Und was für ein Segen ist nicht von ihm ausgegangen! Wie vielen Menschen konnte er einen Weg für’s Leben weisen und wie viele im Glauben stärken!  

 
Paulus schreibt noch mehr: „Ich bin von allen Seiten bedrängt, aber ich werde nicht erdrückt. Ich weiß oft nicht mehr weiter, aber ich verzweifle nicht. Ich werde verfolgt, aber Gott lässt mich nicht im Stich. Ich werde niedergeworfen, aber ich komme wieder auf.  Ich erleide fortwährend das Sterben, das Jesus durchlitten hat, an meinem eigenen Leib. Aber das geschieht, damit auch das Leben, zu dem Jesus auferweckt worden ist, an mir sichtbar wird.“
Wir bezeugen die Herrlichkeit Gottes wahrscheinlich mehr dadurch, wie wir mit unseren
Schwächen umgehen, als durch unsere herausragenden Stärken, mit denen wir
auftrumpfen können. Gott hat diesen eigenwilligen Paulus, der in unserer Landeskirche sicher nie eine eigene Gemeinde bekommen hätte, zum größten Gemeindegründer aller Zeiten gemacht. Und er hat so einem treulosen Feigling wie dem Petrus die Treue gehalten und ausgerechnet ihn zum Fels seiner Gemeinde gemacht.  Sollte er da nicht auch mit unseren Macken und Schwächen fertig werden und uns trotz allem zu einem Zeugnis seiner Herrlichkeit machen können?! Auch wenn wir nicht die Vorzeigechristen sind und sicher auch nicht werden.  Aber darum geht es auch nicht: Es geht darum, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist.  Alle, die in  unserer Gemeinde mitarbeiten, die sich oft mühsam abrackern, und die gerne etwas mehr Frucht dafür sehen möchten – Ihr dürft gewiss sein: Gott hat im Glauben diesen Schatz in Eure Herzen gelegt, und es wird seine Sache sein, das davon etwas rüberkommt, früher oder später! Er wird es tun!  Obwohl wir ‚zerbrechliche Gefäße‘ sind. So, dass es uns vorkommt, als würden wir das Sterben Jesu am eigenen Leib erleiden. Und das ist nicht nur in der Gemeinde so. Ich denke an die Eltern, die so gerne möchten, dass ihren Kindern der Glaube auch wichtig wird. Aber sie machen sich nur lustig darüber.  Und ich denke an jemanden, der aufopferungsvoll einen Angehörigen pflegt und dem es einfach zu viel wird und der sich für den Gedanken schämt, dass er den Tag herbeisehnt, dass er endlich einmal von dieser Aufgabe erlöst wird.   Und ich denke an diejenige, die in ihrer Firma große Verantwortung trägt. Und sie möchte möglichst jedem gerecht werden und möglichst alles richtig machen. Aber manchmal platzt ihr der Kragen und sie muss dann bestimmten Menschen so richtig auf die Füße treten und dann leidet sie darunter, dass sie –obwohl sie als Christ lebt- so aus der Haut gefahren ist.
Wenn wir so etwas erleben, dann merken wir genau, dass wir zerbrechliche Gefäße sind. Wir würden so gerne stark und widerstandsfähig sein. Aber dann merken wir, dass Spannungen und Erschütterungen an uns zerren und uns kaputt machen können. Und dann fühlen wir uns manchmal so, als hätten wir nicht genug geglaubt. Und das ist oft das Schlimmste dran – dass wir denken, wir haben vor Gott versagt und wir leiden darunter, dass wir unseren Glauben nicht deutlicher und überzeugter leben.

 
Ja – wir sind zerbrechliche Gefäße.  Aber in diesen zerbrechlichen Gefäßen verbirgt sich der Schatz! Das helle Licht, das von Jesus ausgeht und das er letztlich selber ist. Und das Licht leuchtet in der Finsternis – auch wenn wir noch so zerbrechlich sind oder auch noch so unvollkommen. Und Jesus hat ungeahnte Möglichkeiten, trotz allem in unserem Leben etwas von seiner Herrlichkeit sichtbar werden zu lassen, damit andere durch uns gesegnet werden.  
Und darum muss ich als Christ nicht länger versuchen, über meine Schwächen hinweg zu täuschen und so zu tun, als würde ich keine Grenzen kennen. Und ich muss nicht versuchen, meinen Mitmenschen etwas vorzuspielen, was ich nicht bin. Ich habe Grenzen und Unzulänglichkeiten, und ich habe auch Anfechtungen und Zweifel. Und Gott hat all das schon längst einkalkuliert. Und er kann und wird trotzdem was draus machen!  Amen.

 

 

 
          

 

    
Predigt über Epheser 1, 3-8;  1. Sonntag nach Epiphanias;  10.01.2016  

 
Liebe Gemeinde, meine Predigt heute ist die erste in der Gebetswoche, die vor uns liegt. Sie steht unter dem Thema „Willkommen zu Hause“ und es geht darum, wie Gott zu uns steht. Insgesamt vier Abschnitte aus dem Gleichnis vom Vater und seinen zwei Söhnen werden uns begleiten – dem Sohn, der zu Hause bleibt und dort nicht glücklich ist und dem anderen, der in der Fremde sein Glück sucht und auch nicht glücklich wird. Und zwischen seinen beiden Söhnen steht der Vater. Wir kennen dieses Gleichnis ja schon von seinem Ende her und wissen, wie es ausgeht. Dass mit dem Vater Gott selbst gemeint ist und mit seinen Söhnen wir.  So, wie wir im Laufe unseres Lebens geworden sind. Und wenn wir an den Abenden auf einzelne Details hören, dann kann es gut sein, dass wir uns dabei selbst begegnen. Gott und seine Kinder. Heute will ich etwas Grundsätzliches dazu sagen und ich will dazu einen Abschnitt nehmen, der ganz anders ist als das Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen. Und trotzdem klingt davon schon vieles an.
Ich lese aus Epheser 3 eine Auswahl aus den ersten acht Versen:  Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.  Denn in ihm  hat er uns erwählt ehe der Welt Grund gelegt war, ... ...  in seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein. ...  In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem  Reichtum seiner Gnade... „

 
"... in ihm, also in Jesus Christus, hat er Gott uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war; ... in seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus..."
Auch hier wird Gott verglichen mit einem Vater oder man kann auch sagen mit Eheleuten, die gerne ein Kind haben wollen.  Wir haben das in unserem Bekanntenkreis erlebt: da wollten junge Leute unheimlich gerne ein Kind haben. Jahrelang schon waren sie verheiratet, und es klappte immer nicht. Und jedesmal wurden sie trauriger und mutloser, weil sie ohne ein Kind nicht mehr sein wollten.  Sicher, sie wussten auch: wo ein Kind im Haus ist, da ist es mit der Ruhe vorbei! Da muss man nachts raus, da kann man Sonntagmittags nicht mehr auf dem Sofa dösen, sondern da muss man nach draußen und Rad fahren oder spielen; und wo ein Kind ist, da ist auch nicht immer mehr alles pingelig sauber und in Ordnung zu halten.   Das alles wussten unsere Bekannten -  aber sie wollten trotzdem um alles in der Welt ein Kind haben. Weil sie sich ohne   einsam und allein fühlten. Weil sie ihre Liebe weitergeben  und ein Leben glücklich machen wollten.

 
Und genauso geht es Gott auch! Er will auch nicht in der Weite seines Himmels seine Ruhe haben. Er möchte nicht mit sich alleine bleiben. Sondern Gott möchte seine Liebe verschenken. Er möchte Menschen haben, die zu ihm gehören. Gott sehnt sich nach dem Menschen, so wie diese Eheleute sich nach einem Kind sehnen.  Gott weiß wohl: Kinder bringen auch Unruhe und Aufregung - aber trotzdem hat er ein tiefes Verlangen nach dem Menschen. Und darum richtet er seine Blicke auf uns! Auch wenn wir oft alles andere sind als immer nur liebenswerte Geschöpfe. So wie unsere Kinder ja auch nicht immer liebenswerte Geschöpfe sind, sondern uns manchmal auch den letzten Nerv rauben können.  Aber als Eltern geht es uns doch so: wenn unsere Kinder manchmal auch viel Geduld kosten und Unruhe bringen, so nehmen wir das doch gerne in Kauf. Weil wir froh sind, dass wir unsere Kinder haben!  Und weil wir es uns ohne sie nicht mehr vorstellen können. Und so geht es Gott auch: dass er seine Liebe auf uns richtet und nicht ohne uns sein will.   Und das ist das Erste, was uns heute gesagt wird: dein Gott, der dich geschaffen hat - er hat dich erwählt! Er hat sein Herz auf dich gerichtet! Du bist ein Wunsch-Kind Gottes! Er hat dich erwählt, "ehe der Welt Grund gelegt war", schon bevor er die Welt erschuf. Du bist "kein Kind des Zufalls,
keine Laune der Natur“, du bist von Gott erwählt!

 
Manche Eltern haben ein Doppeltes erleben und erfahren müssen: Ihr Wunsch nach einem Kind wurde erfüllt und wie glücklich waren sie, als die kleine Tochter oder der kleine Stammhalter sich einstellten! Wie haben sie ihr Kind umsorgt und betütert, und sie haben ihm alles gegeben, was sie nur konnten.  Aber mit den Jahren wuchs nicht nur das Kind - es wuchsen auch die Probleme. Die Eltern merkten: unser Wunschkind hat auch Dinge an sich, die uns nicht gefallen und die wir uns gar nicht erklären können. Da hat das junge Mädchen den energischen Dickkopf – und man fragt: Von wem hat sie das bloß? Oder da lehnt sich das Kind gegen seine Eltern auf und denkt überhaupt nicht daran, das zu tun, was sie gerne wollen. Und sie fragen: woher kommt dieses auflehnende Wesen? Und so ist schon aus manchem heiß ersehnten Wunschkind ein echtes Sorgenkind geworden.  Genauso erlebt Gott das auch immer wieder mit seinen Kindern, mit uns Menschen!  Da kann er auch immer wieder ein so auflehnendes Wesen feststellen – dass wir das nicht tun, was Er von uns möchte. Dass wir ohne ihn denken und ohne ihn leben wollen. Dass wir meinen, wir würden besser abschneiden, wenn wir unser Glück in unsere eigenen Hände nehmen. Weil wir meinen, dass Gott uns die schönsten Sachen des Lebens nicht gönnt. Dass wir zu kurz kommen, wenn wir mit ihm leben.  Diese Tendenz, die steckt in uns so drin. Seit damals diese Geschichte mit dem Apfel passiert ist. Seitdem schlängelt sich in uns Menschen immer wieder das Misstrauen hoch. Und es flüstert uns ein: so richtig gut geht es dir erst, wenn du dich von Gott emanzipierst. Die Bibel nennt das, dass wir "Sünder" sind.  Und das bedeutet nicht, dass wir nun besonders schlechte oder unanständige Leute wären - wer ist das schon von uns?! "Sünde" heißt etwas anderes, "Sünde" ist die "Kunst des Lebens ohne Gott"   

 
Und so haben sich viele Menschen von Gott verabschiedet. So wie viele jüngere oder auch erwachsene Kinder sich im Grunde genommen von ihren Eltern verabschiedet haben. Sie tragen zwar noch ihren Namen - aber sie haben keine engere Verbindung mehr zu ihnen. Sie kommen zwar noch ab und zu ins Elternhaus - aber sie sind froh, wenn sie wieder gehen können. Alles scheint ihnen zu eng, zu leblos, zu eingefahren. So ergeht es Gott auch oft mit uns, mit seinen Wunschkindern.  Und so wie wir unsere Kinder nicht mit Gewalt fest- und zurückhalten, so hält Gott seine Menschen auch nicht mit Gewalt zurück, nicht fest. Einer von meinen Vettern hat sich damals vor Jahren auch von seinen Eltern verabschiedet. Ist gegangen. Und bei meinem Onkel und bei meiner Tante war es so, dass sie sich nie endgültig damit abgefunden haben. Sie konnten Werner nicht festhalten und sie konnten ihn auch nicht zurückholen – aber ihre Tür und ihr Herz blieben offen für ihn. Und die Hoffnung blieb, ob er nicht doch noch wiederkommt.

 
Gott macht es genauso! Von seiner Seite aus löst er sich nicht von uns und seien wir viel-
leicht noch so weit von ihm entfernt. Er sagt nicht: „Du hast so wenig Interesse an mir, jetzt will ich auch nichts mehr mit dir zu tun haben. Nun sieh doch zu, wie du alleine klarkommst!“  Bei Gott fliegt keiner raus! Sondern er möchte, dass die, die sich von ihm verabschiedet haben, dass sie wieder zurückkommen.  Er möchte, dass das Verhältnis zu seinem Wunschkind wieder in Ordnung kommt. Und darum tut er etwas schier Unbegreifliches: er kommt in Jesus auf diese Welt. Damit er ganz in unserer Nähe ist. Damit er am eigenen Leibe das spürt, wie es uns Menschen geht. Genau weiß, wie unsere Sehnsüchte aussehen. Was wir brauchen für unser Leben. Und bis in diesen Gottesdienst hinein bittet Jesus darum und sagt: Komm, folge mir nach, und werde wieder zu einem Kind des himmlischen Vaters!        

 
Für diese Einladung wird Jesus Christus verfolgt und gequält; für diese Einladung wird er ausgepeitscht und ans Kreuz genagelt, bis dass Blut fließt. Aber genau das Blut dieses Jesus macht uns zu Blutsverwandten dieses Herrn!  Und Gott möchte, dass wir das be-
greifen und für uns annehmen. Der Predigttext sagt es so: In Jesus Christus haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, die Chance für einen neuen Anfang. Damit wir unser Leben annehmen können - auch mit dem, was belastend ist und was nicht geklappt hat im Leben. Ich weiß nicht, wie Dein Leben bisher gelaufen ist. Ich weiß nicht, ob Du heute zu denen gehörst, die im Großen und Ganzen zufrieden sind mit dem Leben; oder ob Du zu denen gehörst, die es schwer haben.   Ob du es leicht hast, in dieser Beziehung mit Gott zu leben oder ob du es schwer damit hast. Aber eines weiß ich: Gott löst sich nicht von dir! Er hält an Dir fest! Durch Christus bist Du ein geliebtes Kind Gottes - und an diesem Kind
hält Er fest: komme, was da wolle! Amen!

 
          

 

Predigt über 1. Johannes 5, 11-13; 2. Sonntag nach Weihnachten; 03.01.2016  

Liebe Gemeinde, Weihnachten und der Jahreswechsel sind gefeiert – nun geht es wie-der los mit dem „normalen“ Alltag. Und da ist es gut, wenn wir heute aus der Bibel hören, dass Weihnachten sich nicht mit den paar schönen Tagen erschöpft. Das, worauf es wirklich ankommt, das liegt nicht hinter uns, sondern das geht mit uns. Das ist nicht vorbei, sondern das bleibt. Im 1. Johannesbrief wird es so gesagt: Gott hat uns das ewige Leben gegeben.  Und dieses Leben ist in seinem Sohn.  Wer den Sohn hat, der hat das Leben.    
Ums Leben geht es hier. Dass wir leben, können wir alle spüren! Ich bitte Euch jetzt: fühlt mal bei euerm Sitznachbarn den Puls. Da muss man ein bisschen fummeln, aber dann klappt es. Eigentlich müsste jeder bei seinem Nachbarn den Puls spüren können. ;-)   Daran, dass der Puls geht, spüren wir auch äußerlich, dass wir leben.  Wenn es im Predigttext nun um „ewiges Leben“ geht, ist damit gemeint: unser Pulsschlag setzt sich fort bis in alle Ewigkeit?

Nein, sicher nicht. Und wir sind sicher auch nicht damit zufrieden, unser Leben nur mit dem Pulsschlag zu vergleichen.  Sicher, der Puls schlägt, das Herz arbeitet, Kreislauf und Stoffwechsel funktionieren mehr oder weniger gut. Wir essen und trinken, wachen und schlafen. Wir arbeiten und ruhen, sind eingefügt in eine Familie, in ein Dorf, in unsere Nachbarschaft. Wir leben. Und trotzdem ist Leben (großgeschrieben) und leben (klein-geschrieben) anscheinend zweierlei!

Leben ist mehr, als dass unser Organismus funktioniert. Leben ist mehr als das Gegenteil von Tod. Und in uns drin ist sozusagen serienmäßig eingebaut die Sehnsucht danach, dass wir mehr vom Leben haben möchten als nur, dass der Stoffwechsel funktioniert oder das Herz schlägt. Das merken wir spätestens dann, wenn wir uns vorstellen, dass wir vielleicht einmal auf einer Pflegestation enden – angeschlossen an Geräte, verbunden mit Kabeln, versorgt über Schläuche. Da kommt wie von selbst die Frage auf: Ist das Leben?  Und ich weiß von vielen, die das für sich so beantworten, dass sie sagen: So möchte ich nicht leben, denn das ist aus meiner Sicht kein Leben.

Wir sind auf der Suche nach dem Leben. Und bei dieser Suche gibt es sozusagen verschiedene Richtungen. Da gibt es z.B. die, die hoffen, dass sie in fremden, meist östlichen Religionen in das wahre Leben treten. Sie gönnen sich teure Meditationskurse, die ihnen dabei helfen sollen.   Andere wollen ihren Lebenstraum im Beruf, in der Karriere erfüllen. Sie arbeiten hart und gönnen sich kaum etwas - Familie, Kinder, Beziehungen werden hinten angestellt.  Wieder andere sehen ihr Lebensglück in den eigenen Kindern. Sie stecken ihre ganze Energie in die Kinder und stellen manchmal traurig fest, dass die Kinder sich innerlich von ihnen abwenden. Manche erhoffen sich von Wellness und Schönheit das wahre Leben - da wird der Körper teuren Re-Vitalisierungskursen unterzogen, man schwitzt in der Mucki-Bude, um den Hängebauch wegzukriegen, Wangen und Backen und andere Körperteile werden geliftet.

Gegen all das ist erstmal gar nichts zu sagen! Es hat noch keinem geschadet, durch Konzentrationsübungen etwas zur Ruhe zu kommen.  Und natürlich muss man sich im Beruf engagieren, wenn man weiterkommen will.  Wer Zeit und Nerven in seine Kinder investiert, der verdient das Lob unserer Gesellschaft; und wer seinen Körper pflegt oder auch trainiert, der tut sich Gutes.  Problematisch wird das alles nur, wenn wir denken, dass wir dadurch das wahre Leben bekommen. Das Leben, das sich wirklich lohnt. Viele haben die Erfahrung gemacht: da hast du dich abgerackert, da hast du immer nur verzichtet, da hast du dich
tüchtig angestrengt - und am Ende war’s der verkehrte Weg: die teuer erkaufte Schönheit
welkt dann doch irgendwann; die Karriere wird zur Sackgasse, weil irgendein Konzern die Firma aufkauft und dich absägt; die Kinder lassen sich kaum noch blicken, Freundschaften zerbrechen. Das, worauf man alles gesetzt hat, hat es nicht gebracht.
Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Ernesto Carde­nal, hat es so gesagt:
" ... nach langen Stunden kehren wir am Abend müde zurück. Oft geschieht dies mit dem Eingeständnis: Dieser Tag heute hat es nicht gebracht. Es scheint ein Loch in unserer Seele zu geben, das wir selbst nicht stopfen können. Ganz offensichtlich muss es von außen gefüllt werden."   Und genau darum erinnert der heutige Predigtabschnitt an Jesus Christus. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Gemeint ist: Leben, sinnerfülltes, zufriedenes, von Gott getragenes Leben gibt es nur durch ihn.

Wenn man das so hört, dann mag mancher sagen: Das klingt aber ziemlich radikal! Ein sinnvolles Leben kann ich doch auch ohne Gott, ohne Jesus Christus führen. Wenn ich mich engagiere - für andere Menschen, für den Verein, für die Partei. Wenn ich meinen Hobbys nachgehe. Wenn ich mich bilde, ins Konzert gehe, schön Urlaub mache. Das alles bringt mir doch auch was!   Natürlich bringt einem das was - gar keine Frage! Aber auch hier kommt es wieder da-rauf an, ob es etwas bringt - also etwas, was mein Leben verschönert oder interessant macht. Oder ob es mir das Leben bringt. Nicht etwas, sondern das Ganze. Nicht einen Teil, sondern die Fülle.  Ich will es mit einem Beispiel etwas deutlicher machen: bei vielen von uns steht ein Weihnachtsbaum in der Stube. Schön geschmückt – mit Kugeln viel-leicht oder mit Holzanhängern, mit Lametta oder mit Engelhaar. Und trotzdem: es ist nicht zu übersehen, dass er nicht mehr frisch ist, dass er nadelt. Noch einige Tage, dann ist er nur noch für die Müllabfuhr gut - aber am besten gebt ihr ihn den Jungs von der Jugendfeuerwehr.  
Dass er nadelt, dagegen helfen auch nicht die glänzendsten Kugeln und das schönste Engelhaar. Und das liegt daran, dass er abgeschnitten worden ist von seiner Wurzel –
und darum wird er vergehen. Kein Mensch kann das aufhalten.  Und wenn es im Predigttext für heute heißt, dass wir das Leben durch Christus haben, dann ist das damit gemeint: dass wir dann, dass wir durch ihn mit der Wurzel verbunden sind! Und dass er dann Lebenssaft und Lebenskraft in uns hineinströmen lässt. Und dass wir eines Tages nicht einfach entwurzelt dastehen und ein eher trauriges Bild abgeben.

So verstehe ich diesen Satz, dass wir durch Jesus das Leben haben. Er verbindet uns mit Gott. Er ist die Wurzel, die wir brauchen. Und darum finde ich es gut, dass uns ein solch klares Wort gleich am Anfang des neuen Jahres mit auf den Weg gegeben wird. Damit wir es nicht vergessen bei all dem, was wir uns fürs neue Jahr vorgenommen haben und dass wir es nicht vergessen bei all dem, was auf uns zukommen mag: ER ist das Leben. Er will uns durch das neue Jahr hindurch begleiten. Er will uns helfen, unseren Alltag zu gestalten, will uns darin Zuversicht geben und Erfüllung. Wer den Sohn hat, der hat das Leben.  

Ja, und wie verhält es sich nun mit dem ‚ewigen Leben‘? Nach unseren Erfahrungen endet doch alles Leben im Tod. Alles steht unter dem Zeichen der Vergänglichkeit. Pflanzen, Tiere und auch wir Menschen. Selbst Sterne und Milchstraßen haben ihre Zeit. Vergänglich ist auch, was wir erkämpft, geschaffen und erbaut haben: Dome und Kasernen, Wolkenkratzer und Strohhütten. Alles ist eine Frage der Zeit.  Zum „ewigen Leben“ zwei Gedanken:
1.: Bei uns, in unserem Sprachgebrauch, ist das Wort „ewig“ ein Zeitbegriff. Wie oft stöhnen wir Männer und sagen zu unserer Frau: „Das dauert ja ewig, bis du weißt, was du anziehen willst!“ Und umgekehrt: Wie oft seufzen unsere Frauen und sagen „Das ist schon ewig her, dass ich dir gesagt habe, dass du deine Drecksocken mit nach unten bringst. Und nu liegen sie immer noch im Schlafzimmer.“  „Ewig“ – für uns das Wort mit dem wir beschreiben, wenn etwas ganz lange dauert.  In der Sprache der Bibel hat dieses Wort aber einen grundsätzlich anderen Klang. Da ist es in erster Linie kein Zeit-, sondern ein Qualitätsbegriff.  „Ewiges Le-
ben“ ist in der Sprache der Bibel   Leben in höchster Qualität. Wo wir durch nichts mehr eingeschränkt sind. Wo nichts mehr auf der Seele liegt. Wo wir uns keine Sorgen mehr machen müssen. Wo wir aus der Fülle leben.  Das sind nur wenige Umschreibungen für das, was die Bibel mit „ewigem Leben“ meint. Letztlich: ganz nahe bei Gott sein! Und dort wo Gott ist, da ist Qualität pur!  Lebensqualität. Ewiges Leben.

2.: Das Bibelwort für heute erinnert uns: das ewige Leben beginnt nicht erst nach dem Tod. Durch den Glauben an Jesus Christus ist heute schon die Ewigkeit in unser Herz gekommen. Es fällt ja auf, wie unser Wort bereits in der Gegenwartsform redet: Gott hat uns das ewige Leben gegeben. Ihr habt das ewige Leben.
Das Sprichwort sagt: „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.“ Gemeint ist:
wenn ein außergewöhnlicher Anlass ins Haus steht, dann merkt man da schon früher was von.  Man denkt darüber nach, wie man es gestalten will. Man merkt schon die Vorfreude.  Anders gesagt: das, was kommt, wirkt schon jetzt in unser jetziges Leben hinein. Und so können wir uns das mit dem Ewigen Leben auch vorstellen. Das ist nicht etwas, was erst anfängt, wenn wir hier einmal die Augen zumachen. Ab und zu, da merken wir jetzt schon etwas davon.  In den Momenten, die wir gerne festhalten möchten. Wenn wir vor Freude die Welt umarmen möchten. Oder wenn wir in einer schwierigen Lage plötzlich wieder Land sehen. Wenn wir endlich den Mut bekommen haben für eine bestimmte Entscheidung. Wenn wir mit Menschen zusammen sind und dann merken: jetzt geht es mir besser als vorher!
Das alles sind Momente, in denen das Ewige Leben schon aufleuchtet. Für einen Augen-blick - aber dieser Augenblick ist sozusagen die Anzahlung für das, was uns einmal absolut und total erwartet: das ewige und unvergängliche Leben!  Dass wir mit eigenen Augen sehen: mein Leben hat sich gelohnt! Es hat einen Sinn gehabt - selbst die Tränen haben einen Sinn gehabt.  Durch Christus haben wir dieses Leben.
Und die anderen? Die, die nicht in Verbindung mit Christus leben? Die sind dadurch keinen Deut schlechter! Aber der Predigttext sagt: Sie sind nicht angeschlossen an diese Quelle der Kraft. Sie sind nicht verbunden mit der Wurzel, aus der wir unsere Lebenskraft kriegen. Und darum müssen sie alles von sich selber erwarten. Sich selber Mut zusprechen. Sich selber Kraft geben. Auf Dauer ist das gewaltig schwer, eigentlich sind wir damit überfordert. Darum tun wir selbst uns den größten Gefallen, wenn wir in der Verbindung zu Christus bleiben oder uns neu hineinbegeben. Ich will schließen mit den Worten eines Liedes:
Du gibst das Leben, das sich wirklich lohnt. Für dies Versprechen hast du dich nicht verschont. Und du gibst nicht nur ein wenig, Herr, die Fülle ist bei dir! Du, das Leben, gibst das Leben, das sich lohnt.  Amen.


        

    
Es wurde eine Andacht zum Neujahr gehalten.
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