Predigten April 2015 - Ev.-luth. Christus-Gemeinde Spetzerfehn

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Predigten April 2015

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Sonntag, 26.04.2015

Im Rahmen ihres Vorstellungsgottesdienstes haben die diesjährigen Konfirmanden / innen den Gottesdienst gestaltet.


Predigt über Johannes 10, 11-16; Misericordias Domini; 19.04.2015

Liebe Gemeinde, der Abschnitt aus der Bibel, der für heute zur Predigt empfohlen ist, steht im Johannesevangelium im 10. Kapitel. Dort spricht Jesus: „Ich bin der gute Hirte. Ein guter Hirte ist bereit, für seine Schafe zu sterben. Wer die Schafe nur gegen Lohn hü-tet, läuft davon; denn die Schafe sind ihm gleichgültig. Er ist kein richtiger Hirt. Darum lässt er sie im Stich, wenn er den Wolf kommen sieht, und läuft davon. Dann stürzt sich der Wolf auf die Schafe und jagt die Herde auseinander. Ich bin der gute Hirte. Ich kenne meine Schafe, und sie kennen mich ... ... ... Ich bin bereit, für sie zu sterben.“

Es klingt vielleicht nicht besonders schmeichelhaft, mit einem Schaf verglichen zu wer-den – schließlich gibt es andere Tiere, mit de-nen man normalerweise lieber verglichen werden möchte. Wenn Er zu Ihr sagt: „Mein Täubchen“, dann klingt das ja nun mal irgendwie netter als wenn Er zu seiner Liebsten sagt: „Du Schaf“. Aber bei Jesus hat das einen besonderen Grund, warum er oft, nicht nur an dieser Stelle, von Schafen spricht oder auch andere Beispiele aus der Landwirtschaft nimmt: Jesus hat ja in einer Gegend gelebt, die ganz stark von der Landwirtschaft geprägt war. Und wenn er Menschen etwas von Gott deutlich machen wollte, hat er oft Bilder und Vergleiche aus der Landwirtschaft genommen, weil seine Zuhörer damit auf Anhieb etwas anfangen konnten. Und wenn Jesus nun davon spricht, dass er ein guter Hirte ist und wir seine Schafe, dann fiel seinen Zuhörern damals dazu sofort einiges ein, zum Beispiel dies: Schafe brauchen einen Hirten!

Wir hatten früher zuhause Schweine, Kühe und Schafe. Von den Schweinen weiß ich nicht mehr viel mehr, als dass sie wahn-sinnig futterneidisch herumdrängelten, wenn Oma ihnen was in den Futtertrog gekippt hatte. Und dass sie sehr lecker waren, wenn sie dann als Sniertjebraten auf dem Tisch landeten. Von den Kühen weiß ich, dass sie ihren Stall immer selber gut wiedergefunden haben, wenn sie nach der Saison wieder nach drinnen mussten. Das klappte ganz gut mit der Orientierung bei ihnen. Bei den Schafen war das ganz anders: die irrten umher und wenn Oma nicht immer laut gerufen hätte und vorangegangen wäre, („Fanny, Fanny, Fanny...) dann hätten sie den Stall wahrscheinlich von selber nicht gefunden. Schafe brauchen jemanden, an dem sie sich orientieren können, von selber können sie das nicht. Die fressen einfach vor sich hin und haben keinen Schimmer davon, wo sie hinmüssen. Wenn sich nicht jemand darum kümmern würde, dann würden sie sich pausenlos verlaufen und letztlich zugrunde gehen. Jedenfalls war das damals so, dort, wo Jesus lebte. Das war ja eine Wüstengegend. Es gab nur wenige Stellen, wo es genügend saftiges Gras gab und es gab auch nur ganz wenige Wasserstellen. Und wenn dort Schafe keinen Hirten haben, der seinen Job gut macht, dann dauert es nicht lange, bis sie jämmerlich umkommen. Weil sie weder was zu fressen noch zu saufen finden und weil sie nachts selber gefressen würden von wilden Tieren, die auf Beutejagd sind.

Ein Schaf ohne Hirte ist ein Schaf ohne Orientierung und ohne günstige Lebens-Chancen. Und das ist der erste Punkt, auf den es Jesus ankommt, wenn er sich mit einem Hirten und uns mit Schafen vergleicht: wir brauchen jemanden, an dem wir uns orientieren können.
Menschen, an denen wir uns orientieren können – das sind Vorbilder. Wir leben ja in einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der viele positive Werte ihre Kraft verlieren. Ehrlichkeit, Treue, Gewissenhaftigkeit – das sind nur ein ganz paar solcher Werte. Und wir merken ganz oft: unsere Gesellschaft leidet darunter, dass viele nicht mehr ehrlich sind. Wie viel Elend entsteht dadurch, dass erschreckend viele Menschen nicht mehr treu sind. Und was entstehen manchmal für menschliche Tragödien, wenn man sich auf einen anderen nicht mehr verlassen kann. Unsere Gesellschaft leidet darunter, dass viele Werte gleich-gültig geworden sind. Und darum brauchen wir das einfach, dass wir Vorbilder haben, an denen wir uns orientieren können. Bei Kindern ist es noch am deutlichsten, dass sie jemanden brauchen, der ihnen vorangeht und ihnen die Regeln vermittelt, die sie brauchen, wenn ihr Leben gelingen soll. Kinder brauchen es, dass ihnen jemand hilft, mit der Freiheit umzugehen, aber auch dafür, dass sie fähig werden, in guten Bindungen zu leben. Kinder brauchen es auch, dass sie bestimmte Grenzen kennen- und akzeptieren lernen.
Manche Eltern erziehen ihre Kinder ja so, dass sie alles tun können und alles dürfen. Fürs erste mag das wohl bequem sein – dann meckern die Kinder ja nicht so viel herum, wenn ihnen alles erlaubt ist. Aber aufs Ganze tun wir unseren Kindern damit überhaupt keinen Gefallen: wer nicht lernt, mit Grenzen zu leben, kann auch mit der Freiheit nicht umgehen. Wer nicht lernt, dass es bestimmte Dinge gibt, die nun einmal nicht getan oder nicht gesagt werden dürfen, die werden es enorm schwer in ihrem Leben haben. Und einmal werden ihnen Menschen begegnen, die ihnen diese Grenzen beibringen – und oft sind das dann aber Menschen, die es nicht gut mit ihnen meinen. Kinder, junge Erwachsene – sie brauchen dringend gute Vorbilder. Menschen, an denen sie sich orientieren können. Aber wir anderen brauchen auch Vorbilder. Überlegt doch bitte mal: wer ist für Euch ein Vorbild? Einer, nach dem Ihr Euch richtet? Vielleicht helfen Euch die folgenden Fragen dabei etwas: kennst Du einen, der in einer schwierigen Lage so viel Kraft ausstrahlte, dass Du wieder durch-atmen konntest? Kennst Du jemanden, der sich mit viel Leidenschaft für etwas einsetzt und engagiert? Wen kennst Du, von dem Du sagst: dem glaube ich, dem vertraue ich! ... ...

Wir Menschen brauchen Vorbilder. Andere, die uns helfen, dass wir uns zurechtfinden
im Leben. Und das ist ein Grund dafür, dass Jesus sich in diesem Bibelabschnitt als der gute Hirte anbietet: in ihm begegnet uns ja Gott selber. Der, von dem wir unser Leben haben. Er kennt uns – weil er uns erschaffen hat. Er weiß, was uns glücklich macht und er weiß, was uns nervt. Er weiß, worin du richtig gut bist. Er weiß, wovor du Angst hast. Er weiß, was du dir für deine Zukunft erträumst. Er weiß, was dir peinlich ist. „Ich bin der gute Hirte“, sagt Jesus, und: “Ich kenne meine Schafe.“ Er weiß alles von dir – und niemand liebt dich so wie er! Und er möchte, dass aus unserem Leben etwas wird. Er ist der Fachmann für ein gelingendes Leben. Und wenn wir unseren Kindern etwas gönnen wollen, was ihrem Leben dienlich ist, dann sollten wir sie mit Jesus Christus in Verbindung bringen. Wenn wir unseren Kindern eine gute Orientierung bieten wollen, dann sollten wir sie mit Jesus bekannt und vertraut machen. Zum Beispiel dadurch, dass wir ihnen von klein auf Geschichten von Jesus erzählen. Dass wir mit ihnen beten. Und dass wir für sie beten. Und je eher wir damit anfangen, desto größer ist die Chance, dass unsere Kinder Vertrauen zu Jesus Christus gewinnen, dass sie ihren himmlischen Vater lieb gewinnen. Und für uns selber gilt das auch: wenn wir eine verlässliche Orientierung gewinnen wollen, dann kommen wir letztlich an Jesus nicht vorbei! Klar – auch Menschen können gute Vorbilder sein. Aber genau so klar ist auch: Menschen haben ihre Grenzen. Menschen haben auch ihre Fehler. Ich denke an jemanden, der mir lange ein Vorbild gewesen ist. Zu dem ich aufgeschaut habe. So wie er wollte ich auch gerne sein. Und dann hat der mich einmal total hintergangen und ist mir in den Rücken gefallen. Und das hat mich so enttäuscht und nun ist dieser Mensch für mich kein Vorbild mehr. So etwas kann passieren – weil wir Menschen sind. Mit Fehlern und Macken. Oder etwas anderes, was mir passiert ist: ich sitze am Schreibtisch, Handy klingelt, nette sympathische Stimme dran. Eine Dame, die im Auftrag von Vodafone anrief. Sie bot mir eine Änderung meines Vertrags an. So, dass ich letztlich günstiger telefoniere als bisher. Ich bin ja nun keiner, der blind alles glaubt. Darum habe ich nach Details gefragt. Sie hat mit viel Geduld geantwortet, ich merkte: sie hat Zahlen vor sich und weiß genau, wie oft und zu welchem Zweck ich mein Handy nutze. Sie hat mir dann geduldig alles vorgerechnet – und irgendwann hab ich zugestimmt, dass mein Vertrag geändert wird. Wer will denn nicht, dass es noch’n bisschen günstiger wird als bisher?! Ich hab der guten Frau geglaubt – nicht nur, weil sie eine sympathische Stimme hatte, sondern weil sie sich offenbar sehr gut mit meinem Telefonierverhalten auskannte. Dann kam die nächste, die übernächste und die überübernächste Rechnung und mir wurde jedes Mal klarer: ich zahle jetzt jeden Monat ungefähr 10 Euro mehr als vorher! Toll! Da vertraust du jemandem, der sich offensichtlich gut auskennt und dir überzeugend sagt, was gut für dich ist – und bums fällst du auf die Nase! Diese Erfahrung meint Jesus, wenn er sagt: „Wer die Schafe nur gegen Lohn hütet, läuft davon; denn die Schafe sind ihm gleichgültig.“ Viele Menschen, an denen wir uns orientieren, nutzen unser Vertrauen nur, um ihr eigenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Sie denken nur an ihren Vorteil und nicht an mein, an unser Wohlergehen. Bei Jesus ist das anders.
Der denkt nicht an seine eigenen Interessen. Bei ihm ist es genau umgekehrt: er hat sein eigenes Interesse zurückgestellt, damit mir geholfen wird. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass er diesen schlimmen Tod am Kreuz auf sich genommen hat. Das ist das deutlichste Zeichen dafür, dass es ihm, Jesus, wirklich um uns geht – um dich und um mich. Und wenn er sagt, dass er der gute Hirte für uns ist, dann bedeutet das: an ihm können wir uns orientieren, ohne dass wir damit auf die Nase fallen! An Ihm können wir uns orientieren und müssen keine Angst haben, dass er uns in den Rücken fällt. Dass er das, was er von uns weiß, gegen uns verwendet.
Wer ein echtes Vorbild sucht, auf das er sich verlassen kann, der sollte es sich gönnen, in eine Beziehung zu Jesus Christus zu treten oder in dieser Beziehung zu bleiben. Auf seine Stimme zu hören. So wie jetzt zum Beispiel, im Gottesdienst. Oder der sollte es wagen, mit Jesus zu reden, zu beten. Und wenn wir in einer solchen Beziehung zu Jesus Christus leben, dann werden wir dadurch nicht nur selber eine gute Orientierung für unser Leben bekommen. Sondern der wird im Laufe der Zeit auch für andere zu einem guten Vorbild werden. Darum kann ich nur sagen: wenn Jesus der Hirte ist, dann will ich gerne Schaf sein! Das ist für mich gut und das ist für andere gut! Amen.  



Ostersonntag: Osterfrühstück in unserer Kirche


Predigt über Johannes 19, 16-30; Karfreitag; 03.04.2015

Liebe Gemeinde, ich war in einem Krankenhaus, um Besuche zu machen. Auf dem Flur lag ein alter Mann auf einem Krankenbett. Wahrscheinlich hatte man ihn da abgestellt, weil er zu einer Untersuchung gebracht werden sollte. Er war mehr oder weniger nackt. Das weiße Laken bedeckte ihn kaum, sein OP-Hemd war runtergerutscht. Man sah seine nackten, dünnen Beine. Die Armknochen, seine Rippen und die faltig gewordene Haut. Er lag da völlig hilflos. Konnte sich selbst nicht zudecken. Konnte sich selbst nicht mehr helfen. Er lag bloßgestellt auf dem Gang. Besucher gingen schwatzend in die umliegenden Zimmer aus und ein. Ärzte und Schwestern in hochgeschlossenen weißen Kitteln eilten vorbei an dem nackten alten Mann, der seine Blöße nicht mehr bedecken konnte.

Wie kann man einen Menschen so halbnackt abstellen? Ist das so, wenn man alt wird? Geht es dann so würdelos zu? Ich möchte mir das nicht vorstellen, selbst mal nackt, hilflos und bloßgestellt auf irgendeinem Flur herum zu liegen. Wenn ich über diesen Anblick von dem alten, nackten Mann auf dem Krankenhausflur nachdenke, dann muss ich sagen: was bin ich froh, dass ich meine Kleidung habe! Jacke und Hose. Anzug und Socken und Hemden. Das ist eigentlich total banal – dass wir Kleider anhaben. Und trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken. Kleidung zu haben, das bedeutet doch: ich kann zeigen, was ich zeigen
will
und mehr nicht. Kleidung schützt! Kleidung schützt nicht nur den Körper vor Kälte und Wind und Regen – Kleidung schützt uns auch vor neugierigen Blicken. Ich kenn‘ das von mir: das Hemd eine Nummer größer, damit der Bauch etwas kaschiert wird. Und: kurze Hosen zieh‘ ich nie an – dann würd‘ ich ja aussehen wie ein Schwarzstorch im Salatfeld – mit meinen beiden schwarzen Gummistrümpfen.

Kleider anzuhaben, das ist nicht nur eine Frage von Mode, sondern das ist auch eine Frage von Würde. Kleidung hilft, dass nicht alle das sehen können, was sie nicht an mir sehen sollen. Kleidung lenkt die Blicke ab und Kleidung schützt. Und nun heißt es in dem Bericht von der Kreuzigung: Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider ... und dazu auch das Gewand
.

Sie nehmen ihm alles.
Sie lassen ihm nichts. Jesus kann nicht mehr entscheiden, was und wie ihn die Leute sehen sollen. Er kann nicht mehr entscheiden, was er von sich zeigen will. Er ist nackt, verwundet, hilflos. Er ist im tiefsten Sinne nicht nur entblößt, sondern bloß gestellt. Erschreckend deutlich sieht man: Er ist „wahrer Mensch“. Mensch durch und durch.

Aber beißt sich das nicht mit dem, was wir jeden Sonntag im Glaubensbekenntnis bekennen: dass Jesus nicht nur wahrer Mensch war, sondern auch wahrer Gott. Er ist beides: 100% Mensch und gleichzeitig 100% Gott. Und wenn er da jetzt nackt am Kreuz hängt, dann bedeutet das doch: Gott selbst kann jetzt nicht mehr entscheiden, was und wie ihn die Menschheit sehen soll! Da hängt Jesus - ein nackter Gott! Ein verwundeter Gott. Ein hilfloser Gott – entblößt und bloßgestellt. Ein enthüllter Gott. Das kann man gar nicht begreifen!
Das stellen wir uns anders vor: ein Gott müsste praktisch wie ein König gekleidet sein – nur noch kostbarer. Die feinsten Stoffe, die tollsten Accessoires. Einen nackten, hilflosen, bloßgestellten und schwachen Gott wollen wir doch eigentlich nicht.
Eigentlich wollen wir doch lieber
einen Gott, der unserer Schwäche neue Kraft gibt. Ich will einen Gott, der meiner Hilflosigkeit zur Hilfe kommt. Ich will einen Gott, der die Nackten kleidet und die Bloßgestellten schützt. Ein Gott, der selbst schwach und hilflos und nackt ist, passt gar nicht ins Konzept und ich will ihn lieber nicht. Aber
Gott
wollte
es so. Er hat entschieden, diesen Weg zu gehen. ‚Es muss so sein, es ist nötig!‘ - das hat Jesus immer wieder von seinem Weg ans Kreuz gesagt. Er wusste, was auf ihn zukommt. Auch, dass er nackt und bloßgestellt dort öffentlich für alle sichtbar hängen wird. Dass das so ist – das ist auf der einen Seite Mutwille von denen, die ihn da festgenagelt und ihm seine Kleider ausgezogen haben. Aber gleichzeitig ist das auch Gottes Wille! Es ist nötig! Es musste so geschehen!

Jesus und seine Kleider – oder besser gesagt: Jesus und die Kleider, die er nicht anhat. Gleich am Anfang seines Lebens ist das ein Thema – jedes Jahr Weihnachten singen wir: „Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein, er liegt dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein“ Und von seinem Ende auf Erden heißt es in einem Passionslied: „Um Sechs ward er nackt und bloß an das Kreuz geschlagen“. Nackt und hilflos, wie als Säugling in der Krippe, nackt ist er nun auch am Kreuz. Und in seiner Nacktheit enthüllt Jesus eine Wahrheit über Gott: Gott findet mich – überall dort, wo ich bloßgestellt bin.

Nackt kommen wir zur Welt, und nackt gehen wir irgendwann auch wieder einmal von der Welt. Und dazwischen sind wir meistens nicht nackt, sondern haben etwas an. Nur dann nicht, wenn wir mit uns alleine sind – beim Duschen zum Beispiel. Und dann nicht, wenn wir lieben. Menschen, die einander lieben, die können auch nackt voreinander sein. Brauchen sich voreinander nicht schämen. Können einander so zeigen und begegnen, wie sie sind und „Ja“ zueinander sagen. Liegt darin, dass Jesus am Kreuz nackt ist, liegt darin nicht auch ein ganz großes, unverhülltes „Ja!“ zu uns Menschen?! So, als spräche Gott voller Liebe zu uns: „Ihr müsst euch nicht schämen vor mir und müsst euch nicht mehr verstecken. Ihr braucht nicht Feigenblatt und weiße Weste mehr. Habt keine Angst vor mir. Habt keine Angst, auch nicht vor eurer Verletzlichkeit, vor eurer Verwundbarkeit, vor eurer Scham, vor eurer Not, in eurer Blöße. Ihr braucht mit euern Kleidern vor mir nichts zu verbergen! Nicht den Makel, den ihr an euerm Körper haben mögt – und auch nicht den Makel, den ihr vielleicht an eurer Seele habt. Die ganzen äußeren und inneren Verletzungen. Ihr braucht mit euerm Kleid nichts mehr vor mir zu verbergen - denn siehe, ich trage es auch nicht mehr vor Euch.“ Dass Gott sich uns durch Jesus nackt zeigt – so wie Liebende einander nackt zeigen - eine besondere Sprache des Kreuzes! Für unser Denken ist das vielleicht ganz ungewohnt – dass Jesus uns dadurch, dass er da nackt an diesem Kreuz hängt, eine ganz große Wahrheit von Gott sagt. Und doch ist es so! Der Apostel Paulus kommt ja genau darauf zu sprechen, wenn er schreibt: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, auch nicht Angst noch Blöße (Röm 8,35) .“

In der Paradiesgeschichte ganz am Anfang der Bibel heißt es, dass Adam und Eva nackt waren und sich nicht schämen mussten (Gen 2, 25). Dass sie nackt waren, das war das äußere Zeichen dafür, dass sie ganz nahe bei Gott waren. Erst, als sie das Vertrauen zu ihm verloren hatten, konnten sie die Nacktheit nicht mehr aushalten. Sie machten sich aus Feigenblättern Schurze und versteckten sich. Gott hat sich dann über sie erbarmt und ihnen aus Tierfellen Kleider gemacht – damit sie nicht ungeschützt leben müssen. So lesen wir ganz am Anfang der Bibel. Und ganz am Ende, in der Offenbarung, da steht, dass das Kreuz Jesu der neue Paradiesbaum ist. Da, wo Menschen sich an ihm, an Jesus, halten, da kommen sie wieder ganz nahe mit Gott zusammen. Auch wenn sie in ihrem Leben bloßgestellt worden sein mögen. Und dann bekommen sie ein neues Kleid – die „Kleider des Heils“, nennt Paulus das. Und Jesus erzählt, wie der Vater seinem verloren gegangenen Sohn das Festkleid anzog, als er wieder zu Hause war.

Ja – wir mögen bloßgestellt sein. Neugierigen Blicken ausgesetzt. Wir mögen bloßgestellt sein auch vor Gott. Durch das, was uns von Ihm trennt – unsere Sünde. Und doch: vor Jesus ist kein Feigenblatt mehr nötig! ER gibt uns ein neues Kleid, mit dem wir vor Gott treten können. Und vor Jesus muss sich kein Mensch schämen müssen, wenn er bloßgestellt wird. Wenn andere über ihn herziehen. Seine Würde nehmen. So wie in den letzten Tagen ständig denen ihre Würde genommen wird, die dort bei dem furchtbaren Flugzeugabsturz in Frankreich ums Leben gekommen sind. Am liebsten würden die Kamerateams noch einzelne Leichenteile zeigen – und: es würde Menschen geben, die sich sowas ankucken würden!

Wie oft fühlen Menschen sich bloßgestellt! Weil sie nicht mithalten können mit den anderen. 250 Euro für die Klassenfahrt – wo soll ich das hernehmen? Die Ehe der Kinder ist zerbrochen, die Enkelkinder sind vom Padd ab, mein Unternehmen ist pleite gegangen, mein sonst so sportlicher Körper ist ausgemergelt von den Strapazen von Chemo und Bestrahlung. Nur ganz wenige Beispiele dafür, dass es auch unter uns so oft und so viele Menschen gibt, die „nackt“ sind – bloßgestellt, den neugierigen Blicken anderer preisgegeben. Und Jesus hängt nackt am Kreuzt und sagt uns damit: kein Mensch soll sich seiner Nacktheit schämen müssen vor dem nackten Gott. Kein Mensch soll sich seiner Schwäche schämen müssen vor dem unbekleideten Gott.
Gerade dadurch, dass Jesus dort elend und nackt und bloß am Kreuz hängt, gerade dadurch gibt er meiner Schwäche neue Kraft; kommt er meiner Hilflosigkeit zur Hilfe, und schützt die, die bloßgestellt sind.
Das neue Paradies ist schon am Kreuz verborgen.

Ich trage Jacken und Hosen. Anzug und Socken und Hemden. Das ist auch gut so! Denn die Welt ist noch nicht so weit. In der Welt brauchen wir noch Schutz. Wir leben noch nicht im Paradies, auch wenn es am Kreuz neu aufgeschlossen ist. In der Welt müssen wir uns manchmal noch verkleiden und mit unseren Klamotten schützen, nicht aber vor dem nackten Gott. Und ich wünschte sehr, dass jener alte Mann, der da „elend, nackt und bloß“ auf dem Flur des Krankenhauses lag, dass dieser alte, entblößte Mann in seinem Herzen hat sprechen können: Nichts kann mich scheiden von der Liebe Gottes, auch nicht Angst und Blöße. Und ich wünsche es uns allen, wenn wir nackt und hilflos sind, dass wir dann in unserem Herzen so sagen können: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die uns am Kreuz enthüllt ist. Nichts kann mich scheiden von der Liebe Gottes, auch nicht Angst und Blöße. Und am Ende wird das gelten, was im 104. Psalm steht und was wir auf Jesus deuten: „Licht ist das Kleid, das du anhast!“

Karfreitag – noch ist das Licht nicht zu sehen. Im Gegenteil: die Sonne verfinstert sich. Und dann kommt der schwärzeste Tag der Weltgeschichte – Jesus ist tot! Aber er überwindet! Bald wird es heißen: „Licht ist das Kleid, das du anhast!“ Und es mag sein, dass wir
bloßgestellt werden im Leben. Es mag sein, dass wir uns vor den Blicken anderer nicht schützen können. Es mag sein, dass wir auch eines Tages nackt auf einem Flur abgestellt werden. Aber wenn wir uns an Jesus halten, dann wird es auch von uns heißen: „Licht ist das
Kleid, das wir anhaben werden!“
Sein Licht! Ich will mit uns beten: Herr Jesus Christus, nichts Hohes, nichts Tiefes ist Dir fremd. Du kennst das Licht. Du kennst die Finsternis. Du
holst uns ab, wo wir sind. Und so bitten wir Dich: Denen, die hilflos sind, werde zum Bruder.

Die, die bloßgestellt sind, berge in Deinem Licht. Die, die Angst haben, hülle in Dein Vertrauen. Denen, die friedlos sind, öffne das Herz für Deinen Weg. Denen, die weinen, trockne die Tränen. Die, die schuldig geworden sind, nimm in Deine Arme. Die, die herzlos geworden sind, berühre mit deiner Liebe. Denen, die krank sind, lege Deine Hände auf. Und die Sterbenden führe in Deine Herrlichkeit.

Hole uns ab, wo wir sind. Hole uns ab, wo immer wir hineingeraten sind und führe uns in die Herrlichkeit des Ostermorgens. Jesus – kleide uns mit deinem Licht! Amen.


Eingangsgebet:

Herr, unser Gott, Du hast uns Deine Gegenwart zugesagt, wo zwei oder drei in Deinem Namen versammelt sind. Sei Du jetzt hier. Sei mitten unter uns. Öffne unsere Augen für Deine Gegenwart am Kreuz. Öffne unser Herz für Dein neues Königtum. Öffne unseren Geist, Dein Licht im Dunkel der Welt zu finden durch Jesus Christus, Deinen Sohn, und in der Kraft Deines Geistes.
Amen
.







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