Predigten Juni - Ev.-luth. Christus-Gemeinde Spetzerfehn

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Predigten Juni

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ZUR AUDIOPREDIGT

Predigt über Matthäus 22, 1-14; 2. Sonntag nach Trinitatis; 25.06.2017

Liebe Gemeinde, jetzt ist wieder die Zeit der Einladungen: zum grillen, zur Hochzeit oder zu einem besonderen Hochzeitstag. Im Predigttext für heute geht es auch um eine Einladung zu einer Hochzeit. Der Evangelist Matthäus hat aufgeschrieben, was Jesus erzählt:  
Gott hat angefangen, seine Herrschaft aufzurichten, und er handelt wie jener König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete: Er schickte seine Diener aus, um die geladenen Gäste zum Fest zu bitten; aber sie wollten nicht kommen. Darauf schickte er noch einmal andere Diener zu den Geladenen und ließ ihnen sagen: 'Hört! Ich habe mein Festessen vorbereitet, meine Ochsen und meine Mastkälber sind geschlachtet, alles steht bereit. Kommt zur Hochzeitsfeier!' Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern gingen ihren Geschäften nach. Einer ging auf seine Felder, ein anderer in seinen Laden. ... Da sagte der König zu seinen Dienern: 'Die Vorbereitungen zum Fest sind getroffen, aber die geladenen Gäste waren es nicht wert, daran teilzunehmen. Geht jetzt hinaus auf die Landstraßen und ladet alle zur Hochzeit ein, die euch begegnen!'  Die Diener gingen hinaus auf die Straßen und brachten alle mit, die sie fanden – schlechte und gute Leute. So wurde der Hochzeitssaal voll. Als nun der König kam, um sich die Gäste anzusehen, entdeckte er einen, der nicht hochzeitlich gekleidet war. Er sprach ihn an: 'Wie bist denn du hier hereingekommen? Du bist ja gar nicht hochzeitlich angezogen.' Der Mann hatte keine Entschuldigung. Da befahl der König seinen Dienern: 'Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die Finsternis! Dort gibt es nur noch Jammern und Zähneknirschen. 'Denn viele sind berufen‘, schloss Jesus, ‚aber nur wenige von ihnen sind erwählt.‘

Wir ahnen es: der Gastgeber ist Gott selber.  Immer wieder malt Jesus uns dieses Bild vor Augen: Gott ist wie einer, der ein Fest feiern will! Und zu einem Fest lädt man ja nur die ein, an denen einem etwas liegt und mit denen man gerne zusammen ist. Und genauso geht es Gott: Er möchte gerne mit uns zusammen sein! Gott - der große Gastgeber, der großzügig alles plant und vorbereitet und persönlich einlädt! So wie viele heute auch, wenn sie Hochzeit feiern: dass sie ihre Gäste persönlich einladen. Ich hab noch nie’ne SMS gekriegt: ‚Lad’ Uli und dich zu unsrer Hochzeit ein!‘  Das läuft ganz anders: viele Brautpaare geben sich unendlich Mühe und gestalten wunderschöne Einladungskarten - und oft bringen sie die dann auch persönlich vorbei. Und so ist das mit Gott auch! Durch persönliche Boten lädt er seine Menschen ein. Im Alten Testament waren das die Propheten; später dann die Apostel. Sie bringen uns durch die Bibel sozusagen Gottes Einladung persönlich vorbei. Und nicht nur sie! Und nun überleg doch bitte mal: wer ist in Deinem Leben bis jetzt so ein Bote gewesen, der dir Gottes Einladung überbracht hat?  Stille... Ob es die eigenen Eltern oder Großeltern waren, die dir den Glauben vorgelebt haben? Die die Hände für dich gefaltet und für dich gebetet haben? War es die Kinderstunde, der Kindergottesdienst, die Jugendgruppe, der Bibelkreis, wo du von diesem himmlischen Gastgeber gehört hast, der sein Fest nicht oh-
ne dich feiern möchte?   Es ist sicher sehr unterschiedlich, wie Ihr die Einladung Gottes gehört habt.  Egal wie – Hauptsache ist, dass du es erfahren hast: es ist alles für dich vor-
bereitet! Gott freut sich auf dich! Du bist eingeladen, erwartet und willkommen!

Die Frage ist: wie gehen die Eingeladenen damit um?  Im Predigtabschnitt für heute wird erzählt, dass die Gäste die Einladung ausschlagen. ‚Sie ... kümmerten sich nicht darum, sondern gingen ihren Geschäften nach.“  Eigentlich ist das ein NoGo – sowas tut man nicht, dass man einfach nicht auf eine Einladung reagiert. Bei Menschen nehmen wir uns das normalerweise nicht raus. Wenn man eingeladen wird, dann geht man da auch hin – und wenn nicht, muss man schon stichhaltige Gründe haben.  Bei Menschen wissen wir meist, was sich gehört - aber Gott gegenüber sieht das oft anders aus. Da sagen manche: Ich habe keine Zeit! Ich habe kein Interesse! Ich habe genug anderes um die Ohren!   Das, was im Moment gerade ansteht, das ist ihnen wichtiger als seine Einladung, als sein Fest. Darum sagen sie ab. Und das liegt meist nicht daran, dass sie seine Einladung nicht bekommen haben oder dass sie mit Gott grundsätzlich nichts am Hut haben. Ich erlebe das wohl mal, dass Menschen mir erzählen, dass sie früher einen ziemlich guten Draht zur Gemeinde hatten. Da hat einer als junger Kerl im Posaunenchor gespielt, eine andere war Mitarbeiterin im Kindergottesdienst und wieder andere sind jahrelang begeistert mitgefahren auf Jugendfreizeiten. Also: die Einladung von Gott hat sie erreicht!  Aber dann kam das Leben – und damit die ganzen Sachen, die viel Kraft und Zeit kosten. Man muss in die Hände spucken. Sich eine Existenz aufbauen. Vielleicht ein Haus bauen, eine Familie gründen.   Und wenn dann vielleicht Kinder da sind, dann merkt man schnell: die halten einen ganz schön in Atem - über Jahre hinweg!  Und wenn die Kinder dann aus dem Haus sind, dann geht es vielen so, dass sie mit ihren alt gewordenen Eltern zu tun haben, die nicht mehr so gut können. Mancher hat vielleicht in seiner Familie auch schwere Last zu tragen - da wird der Mann krank oder die Frau. Man macht sich Sorgen, was aus den Kindern wird. Vielleicht leidet man selbst unter Krankheit. Alles Dinge, die uns beschäftigen.  Das ist wie in dem Bibeltext. Da sagen die Gäste ja auch ab, weil sie von ihrem ganz normalen Leben so in Anspruch genommen sind. Und die Gründe dafür werden im Text nicht mal schlecht gemacht. Jesus hat nichts dagegen, dass wir uns um unseren Beruf kümmern. Oder dass wir uns engagieren.  Er hat nichts dagegen, dass uns unsere Familie wichtig ist.  Aber die Frage ist: wie viel Raum und Zeit und Aufmerksamkeit gestehen wir dem zu? Kostet es uns so viel Zeit, so viel Nerven, so viel Kraft, dass wir für Gott keine Zeit, keine Kraft, keine Nerven mehr haben?  Ist das Alles wirklich wichtiger für uns, als dass wir uns Zeit für Gott nehmen?
Was ist mir wichtiger am Sonntagvormittag: dass ich zum Gottesdienst gehe – oder dass ich mich um etwas kümmere, was die Woche über liegengeblieben ist?   Was ist wichtiger – dass ich mir die Zeit nehme, um doch zum Chorabend zu gehen – oder dass die Wäsche
gerade an dem Abend gebügelt wird?  

Mir kommt es manchmal so vor, als würden wir uns auf solchen Dingen ausruhen. Anders gesagt: Acker gekauft, Ochsen besichtigt, Frau genommen – das sind nicht alles die ganz wichtigen, stichhaltigen Gründe, um Gottes Einladung auszuschlagen. Das meiste davon ließe sich auch noch später regeln. Letztlich sind wir immer vor die Frage gestellt: wem will ich mehr Aufmerksamkeit geben – Gott und seiner Gemeinde, oder den vielen Dingen, die ich zu tun habe?! Jeder von euch hat sich für heute so entschieden, dass er jetzt hier ist!  Und ich glaube, wir alle kennen Menschen in unserer Gemeinde, die auch viel um die Ohren und die echt viel zu tun haben. Oder die viel zu tragen haben – an Belastung durch Krankheit oder in ihrem Beruf oder durch eine Pflegesituation oder durch die Kinder oder Enkel. Aber sie gehen trotzdem zur Kirche und machen trotzdem an der einen oder anderen Stelle in der Gemeinde mit – und sie merken oft: das gibt mir was! Mir tut das gut! Dadurch, dass ich Gott keinen Korb gebe, sorgt er dafür, dass ich meinen Alltag bewältigen kann – und sei er noch so schwer und belastend. Die Frage ist also nicht allein: gebe ich Gott die Ehre, indem ich seine Einladung annehmen – sondern auch: reicht meine eigene Kraft, um das Leben zu bestehen, oder will ich mir von Gott dabei helfen lassen? Kann ich mir alleine Mut zusprechen, wenn ich eine schwere Aufgabe vor mir habe - oder darf Gott mir Mut machen?
Kann ich mich selber trösten, wenn ich versagt habe – oder darf Gott mir sagen, dass er hundertprozentig auch dann auf meiner Seite ist, und dass er mir hilft, dass ich einen neuen Anfang finde. Darum geht es Gott, wenn er einlädt zu seinem Fest – dass wir Hilfe zum Leben kriegen!  Und wir schaden uns selbst, wenn wir darauf verzichten!

Die Eingeladenen im Gleichnis erscheinen nicht zum Fest – schade für sie! Aber damit ist diese Geschichte noch nicht zu Ende. Die Hochzeit findet statt - jetzt mit anderen Gästen. Wenn die Einen nicht wollen, dann werden eben andere eingeladen! Gott sorgt schon dafür, dass Menschen merken, dass Seine Nähe ihnen gut tut. Er zwingt keinen, zu kommen! Aber sein Fest findet statt! Auf jeden Fall! Wenn jemand nicht will, dann wird eben jemand anders eingeladen. Menschen, die überhaupt nicht damit rechnen. Es gibt Menschen, die haben nie daran gedacht, dass Gott sie in seiner Nähe haben möchte. Und dann haben sie plötzlich seine Einladung bekommen. Vielleicht bei der Bundeswehr durch eine Freizeit, die die Militärseelsorge veranstaltet.  Oder vielleicht ist einer zur Kirche gegangen, weil er schlecht fehlen konnte - bei einer Taufe, einer Beerdigung.  Und dann hat er gehört, dass Gott ihn meint, ihn einlädt!  Vielleicht hatte jemand in einer schwierigen Lage ein gutes Gespräch mit einem Menschen, der ihm weiterhelfen konnte - und der ihm auch gesagt hat, dass Gott auch dann da ist, wenn wir Probleme haben. Und er hat es als Einladung gehört. Wie auch immer: bis heute lädt Gott Menschen ein!  

Einen solchen anderen Gast nimmt der Predigttext nun noch in den Blick. Er hat sich einladen lassen. Ist zum Fest gekommen. Aber dann gibt es ein Problem: er ist nicht vorschriftsmäßig angezogen! Und darum fliegt er raus!  Das ist ja komisch! Wir sagen doch immer: zu Gott kannst du so kommen, wie du bist!  Stimmt das denn nicht? Ist das bei Ihm so wie auf einigen ganz teuren und vornehmen Kreuzfahrtschiffen – wenn du da ab einer bestimmten Uhrzeit nicht ein schönes Cocktailkleid anhast und die Herren ein chickes Dinnerjäckchen, dann kommst du nicht ins feine Hauptrestaurant, sondern kannst dich im Buffetrestaurant selbst bedienen. Ins gediegene Restaurant kommst du nur, wenn du den Dresscode einhältst. Ist das bei Gott nun denn auch so?! Das könnte man ja denken, wenn wir hier hören, dass einer der Gäste rausfliegt, weil er nicht hochzeitlich angezogen ist.

Damit wir diese Stelle richtig verstehen, muss man etwas wissen – ich hab das in einem an-
deren Zusammenhang vor einigen Wochen schon mal gesagt. Wer damals dabei war, für den ist das jetzt eine kleine Wiederholung. Also - damals war es so: wenn jemand zu einem Fest eingeladen wurde, dann bekam er am Saal-Eingang vom Gastgeber ein Festkleid überreicht. Als Gastgeschenk. Dieses Festgewand, das wurde damals über die eigenen
Kleider angezogen. Der Sinn vom Ganzen war zweierlei: Erstens brauchte man sich nicht in Schale schmeißen und nicht lange überlegen: seh’ ich gut genug aus? Hab ich dies Kleid nicht schon mal angehabt?  Was denken die Leute bloß, wenn ich’s schon wieder trage?! Wir merken schon – ein echter Vorteil vor allem für die Frauen! ;-)  Zweitens sollte das bedeuten: hier interessiert es nicht, ob du Billigklamotten von PriMark anhast oder ’nen Fummel aus ’nem teuren Geschäft. Turnschuh oder Lackschuh – das ist dem Gastgeber nicht wichtig! Wichtig bist du ihm! Wichtig ist ihm nicht, wie du aussiehst und was du dir alles leisten kannst – wichtig ist ihm, dass du dabei bist!  Und darum war es damals so, dass alle Gäste ein Festgewand vom Gastgeber bekamen. Dadurch stand keiner hinter dem anderen zurück. Keiner konnte herumprotzen, und keiner brauchte sich minderwertig fühlen. Für den Gastgeber waren sie alle gleich.  Und so ist das bei Gott auch!
Es bleibt dabei: wir sollen kommen, wie wir sind: mit unserem Leben, das vielleicht an mancher Stelle ziemlich beschmutzt ist. Klamottentechnisch weiß ich, wovon ich rede! Normalerweise hab ich immer irgendwo ’n Fleck. Und wenn ich ganz doll aufpassen will, dann kleckere ich erst recht. Und das ist leider nicht nur klamottentechnisch so. Ob wir wollen oder nicht – wir bekleckern uns auch sonst. Ich meine damit: das Leben fügt uns so manchen unschönen Fleck zu. Auf unserer Seele. Auf unserer weißen Weste. Dinge, mit denen wir nicht gut aussehen. Und Jesus sagt: das, was dich beschmutzt – das musst du nicht erst vorher reinigen und du musst dir auch nicht erst neue Kleider besorgen! Um Gottes Einladung anzunehmen, brauchen wir nicht erst besser werden. Nicht erst vollkommener. Wir können so kommen, wie wir sind!  Und dann sorgt der Gastgeber schon dafür, dass wir das ‚Festgewand‘ bekommen. Damit wir zu ihm passen. Dieses geschenkte Festgewand, das ist ein Zeichen dafür, dass wir darauf angewiesen sind, dass Gott uns das möglich macht, dass wir zu ihm kommen und zu ihm gehören können. Egal, wie es in unserem Leben aussieht.  Machen wir uns nichts vor: das Kleid, das wir tragen, das wird immer Flecken haben. Auch wenn wir noch so fromm sind. Auch wenn wir noch so rechtschaffen leben. Das ist nicht das, was uns vor Gott sauber dastehen lässt. Das ist nicht das, was uns den Zugang zu Seinem Fest verschafft. Sondern dazu brauchen wir das, was Er uns gibt!  Der, von dem erzählt wird, dass er rausfliegt, der will sich das nicht sagen lassen. Das ist einer, der selbstgerecht darauf pocht: so wie ich bin, kann Gott stolz auf mich sein!  Der, der hier rausfliegt, der will auf seinem hohen Pferd sitzen bleiben. Der denkt: ich bin doch nicht auf dieses Festgewand angewiesen! Ich will mich nicht mit den anderen Leuten gemein machen. Will nicht Kleider tragen, wie sie welche anhaben. Meine eigenen Kleider sind viel schöner, das, was ich Gott bieten kann!  Gott kann froh sein, dass er einen wie mich überhaupt dabei haben kann.  So mag er denken - und darum passt er nicht zu Gott! Darum wird er am Ende rausgeworfen.

Jesus erzählt das ganze darum, damit wir hören und begreifen: du bist eingeladen! Und du darfst mit leeren Händen vor ihn treten! Wenn du’s nicht schon getan hast, kannst du zu ihm sagen: Hier bin ich, Herr! Erfülle mein Leben mit deiner Freude und deinem Frieden. Amen.

    

Jeremia 23, 16-29 in Auswahl; 1. Sonntag nach Trinitatis; 18.06.2017

Liebe Gemeinde, vielleicht habt ihr es auch in der Zeitung gelesen: in Essen ist ein Mann verurteilt worden, weil er 30 Jahre als Arzt gearbeitet hat, ohne dass er wirklich Arzt war. Als junger Mann hat er’n paar Semester Medizin studiert und dann das Studium abgebrochen. Später hat er dann seine Zeugnisse gefälscht und sich selber eine Zulassungsurkunde als Arzt gebastelt und damit hat er Arbeit gefunden: zuerst in einem Krankenhaus, später bei einer Drogenberatung, und zuletzt als Betriebsarzt. Er hat sich als Arzt ausgegeben, obwohl er gar keiner war. Menschen waren ihm anvertraut, obwohl er keine Ahnung davon hatte, wie er ihnen helfen kann.  ’n paar Semester Medizin – Einiges weiß man dann wohl,  man kennt sich in der Fachsprache aus, man kann sicher auch Spritzen geben und Blut abnehmen. Aber ein wirklicher Arzt ist man nicht.
In dem Bibelabschnitt für heute geht es um etwas ganz ähnliches. Zwar nicht um richtige und falsche Ärzte, aber um richtige und falsche Propheten. Propheten sind ja die, die anderen Menschen Gottes Willen weitersagen. Dazu aufrufen, dass sie ihr Leben nach Gott ausrichten und das tun, was Er möchte. Und da gibt es im Alten Testament nun Propheten, die echt sind, die wirklich von Gott beauftragt sind. ER hat sie sich ausgesucht und sie fähig gemacht für dieses Amt. Jesaja war so einer oder auch Jeremia.  Aber es gab auch falsche Propheten. Die kannten sich aus mit der Religion, hatten die Fachsprache drauf. Aber sie waren nicht wirklich von Gott beauftragt. Meist waren sie als Ratgeber am Hof des Königs angestellt und oft gaben sie das als Gottes Willen aus, was der, der sie bezahlte, gerne hören wollte. Und darum geht’s nun haute auch im Predigttext. Die Babylonier wollten Juda schlucken. Und der König von Juda stand vor der Frage: sollen wir uns unterwerfen oder sollen wir um die Unabhängigkeit kämpfen?  Es gab Propheten, die rieten dazu: „Lasst uns kämpfen! Es wird gut ausgehen!“  Aber Jeremia hält energisch dagegen und sagt: ‚Das sind falsche Propheten! Sie geben ihre eigene Meinung als Gottes Meinung aus und bringen das ganze Volk in Gefahr!‘   Hören wir, was Jeremia sagt: „Der HERR, der Herrscher der Welt, sagt: ‚Hört nicht auf das, was die Propheten euch verkünden! Sie halten euch zum Narren. Sie sagen euch, was ihr Herz ihnen eingibt, nicht was sie aus meinem Mund gehört haben.  Denen, die meine Warnungen nicht ernst nehmen, wagen sie zu verkünden: 'Der HERR sagt: Es wird euch blendend gehen', ... ... ‚Ich habe diese Propheten nicht geschickt‘, sagt der HERR, ‚und doch sind sie losgelaufen; ich habe nicht zu ihnen gesprochen und doch reden sie und berufen sich dabei auf mich.  Wenn sie in meiner Ratsversammlung gestanden hätten, dann müssten sie meinem Volk doch verkünden, was ich gesagt habe; sie müssten es dazu anhalten, sein Leben und Tun zu ändern!‘  Der HERR sagt: ‚Ich bin nicht der nahe Gott, über den ihr verfügen könnt, ich bin der ferne Gott, der über euch verfügt.‘“
Soweit Jeremia. Da kann man nun natürlich sagen: was interessiert uns das? Was haben wir damit zu tun, was damals besser war für Juda? Das ist doch Schnee von gestern!  Und auf der einen Seite stimmt das ja auch, die Politik von damals spielt heute keine Geige mehr.
Aber dass uns das heute trotzdem noch was zu sagen hat, der Grund dafür liegt woanders: interessant ist, wie Jeremia die Auseinandersetzung damals geführt hat. Seine Argumente. Dass er seinen Zuhörern Kriterien an die Hand gibt, mit denen sie das, was als Gottes Wort weitergesagt wird, auf den Prüfstand stellen können. Und das ist für uns durchaus interessant. Wenigstens dann, wenn wir danach fragen: wie sollen wir als Christ leben?  Bin ich mit meinem Leben auf dem richtigen Weg?  Aber auch: wie sollen wir das beurteilen und bewerten, was uns gesagt wird? Vom Pastor, wenn er predigt. Von dem, der Kindergottes-dienst macht. Von dem, der beim Chor-Abend oder im Frauenkreis eine Andacht hält.    
Wie können wir das, was verkündigt wird, beurteilen?  Jeremia nennt dafür drei Kriterien:
Erstens: Gottes Wort bleibt fremd – Er fragt: „Bin ich nicht auch ein Gott, der ferne ist?!“
Manchmal sagt jemand zu mir: ‚Das war, als wäre die Predigt vergangenen Sonntag nur für mich gewesen! Wie hast du das gewusst, dass mir diese Worte gerade besonders gut tun?!‘  Oder wenn man morgens die Losung liest, dass man denkt: ‚Das, was da steht, das passt 100%ig!‘  Und wenn es so ist, dass Gottes Wort uns aufbaut und stärkt und dass wir uns darin verstanden fühlen, dann ist das ein Segen!  Das sind dann solche Momente, in denen wir uns Gott ganz nahe fühlen. So, dass wir mit ihm auf Du und Du sind – oder, wie wir vergangenen Sonntag gehört haben, dass Jesus Mut dazu macht, dass wir zu Gott ‚Papa‘ sagen!  Aber vielleicht kennt ihr auch das andere: dass ihr mit Gottes Wort mal gar nichts anfangen könnt! Dass ihr euch darin nicht wiederfinden könnt. Dass es euch nicht bestätigt, sondern dass es euch etwas zumutet, was ihr am liebsten nicht hören würdet!  Und das hängt damit zusammen, dass wir wohl zu Gott ‚Vater‘ sagen dürfen – aber: ein Papa ist ja nicht einfach ein Kumpel!   Vater, Mutter, Eltern und Kinder – sie stehen nun mal nicht auf der gleichen Stufe. Mein Vater ist mein Vater und nicht mein Kumpel. Und auch wenn wir zu Gott   Vater sagen dürfen und ganz eng mit ihm verbunden sind – Gott ist und wird nicht unser Kumpel und wir stehen nicht mit ihm auf einer Stufe.  Und er ist auch nicht dafür da, dass er uns einfach das gibt, was wir haben wollen oder dass er uns immer nur bestätigt in dem, was wir denken oder wollen.  Das tun wir als Eltern ja auch nicht – dass wir unseren Kindern in allem recht geben.
Auf der einen Seite weiß ich das gut – und trotzdem ertappe ich mich selber manchmal dabei, dass Gott es so machen muss, wie ich es für richtig halte.  Manchmal machen wir ihn zum Notnagel für die Momente, in denen wir nicht mehr weiter wissen.  Und wenn er seine Schuldigkeit getan hat, packen wir ihn wieder zur Seite und dann soll er uns gefälligst nicht mehr reinreden. Wenn wir es so machen, dann ist das etwas, wovor Jeremia warnt.   Er sagt: Gottes Wort ist etwas, was von außen an uns herantritt. Es ist nicht einfach in unserem Herzen oder in unseren Gedanken drin.  Es ist ein Gegenüber. Deshalb ist es uns oft fremd, des-halb reiben wir uns daran, deshalb stehen wir in der Versuchung, es weich zu spülen und leichter verdaulich zu machen.
Von der Kirche, von Pastorinnen und Pastoren, von Christen überhaupt wird viel erwartet: Trost spenden, Menschen bestärken, Halt geben, vergewissern, Mut machen.   Das ist alles richtig und wichtig und gut! Aber es ist auch gefährlich! Der Theologe Karl Barth, der selber als Pastor gearbeitet hat, sagt: „Der falsche Prophet ist der (Pastor), der es den Leuten recht machen will. ... und ich weiß, dass ich eure Gedanken ausspreche, wenn ich sage: Ihr habt den Wunsch, dass ich ein solcher falscher Prophet bin.“    Kann es sein, dass er damit recht hat? Dass wir uns falsche Propheten wünschen? Menschen, die uns Gottes Wort so sagen, dass es uns in Ruhe lässt, dass es uns tröstet, beruhigt und bestärkt, dass es unsere Feste garniert, dass es uns schöne Tauf- und Konfirmationssprüche liefert, aber ja nicht unser Leben hinterfragt?  Ein Zeichen für die Echtheit von Gottes Wort ist, dass es manchmal ein fremdes Wort bleibt. Es bestätigt nicht einfach unsere Wünsche, sondern stellt uns oft genug auch in Frage!
Das hängt ganz eng zusammen mit dem zweiten Kriterium, das Jeremia nennt: Gottes Wort schafft Klarheit.  In der Begegnung mit Menschen ist es für mich am schönsten, wenn ich ihnen aus Gottes Wort heraus einfach Mut machen kann, dass sie ihren Weg gehen können! Manchmal kommen welche zu mir und bitten darum, dass ich ihnen für eine bestimmte Sache Gottes Segen mit auf den Weg gebe – z.B. vor einer schwierigen OP oder vor einiger Zeit ein Soldat aus unserer Gemeinde vor einem Einsatz in einem Kriegsgebiet.  Oder wenn jemand in einer bestimmten Angelegenheit einen Rat haben möchte – das sind oft Sternstunden der Seelsorge. Aber manchmal gehen welche auch erstmal ziemlich belämmert aus einer solchen Begegnung raus – weil ich sie nicht einfach nur bestätigen konnte.  Ich muss an jemanden denken, der immer wieder Krach mit seinen erwachsenen Kindern hatte. Sie wohnten Haus an Haus. Immer wieder krachte es. Einmal kam der Opa zu mir und beschwerte sich über seine Kinder und Enkel. Was die immer alles falsch machen und was sie für komische Ansichten haben und dass sie ständig gegen das 4. Gebot verstoßen: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren...“ Und von mir wollte er nun, dass ich seine Kinder und Enkel mal so richtig auf den Pott setze, damit sie sich ändern. Aber das konnte ich nicht, weil ich viel zu viel wusste. Und ich habe ihm mit dem geantwortet, was da auch steht: „Ihr Eltern, reizt eure Kinder nicht zum Zorn!“ Und das war nun eine bittere Pille für ihn. Er musste einsehen, dass nämlich der meiste Stress von ihm ausging! Die jungen Leute wussten sich gar nicht mehr anders zu helfen, als dass sie bockig wurden.
Bitte versteht, liebe Gemeinde: wenn wir Gottes Wort ernst nehmen, dann können wir nicht immer nur sagen: ‚So wie du es machst, machst du es richtig!‘ Wir können den Menschen nicht immer nur das sagen, was sie gerne hören wollen. Dann vermeiden wir zwar Konflikte, aber wir werden dem nicht gerecht, dass Gott etwas heilen möchte, was krank geworden ist.  Das ist so, als würde ein Arzt einem Schwerkranken sagen: ‚Mach dir keine Sorgen, du bist schon bald wieder topfit!“  Aber das wird ein guter Arzt nicht tun! Wenn jemand schlimm krank ist, dann muss der Arzt das auch sagen. Erst dann, wenn man weiß, woran es liegt, kann man anfangen mit der Therapie.  Und so ist das auch mit Gottes Wort. Auch in der Seelsorge. Da gehört auch Klarheit rein, wenn sich was ändern soll – auch wenn das eine bittere Klarheit ist.
Wenn wir es mit Gottes Wort zu tun bekommen, wird immer auch ans Licht kommen, was wir ihm schuldig geblieben sind. Dass uns klipp und klar gesagt wird, wie es um uns steht: dass wir Sünder sind, getrennt von Gott, und dass kein Mensch, so anständig er auch sein mag, aus eigener Kraft dem Anspruch Gottes genügen kann. Aber dass es das Kreuz gibt und dass Jesus auferstanden ist und dass ein Mensch mit Jesus zu einem neuen Leben unter seiner Leitung auferstehen kann. Und dass dadurch auch Menschen es hinkriegen können, wieder aufeinander zuzugehen - und dort, wo es ansteht, sich zu ändern. Und da-mit bin ich beim dritten Kriterium:
Gottes Wort fordert Umkehr   Ihr kennt ja bestimmt den Spruch aus der Werbung für „Du darfst“: „Ich will so bleiben, wie ich bin.“   Das hör‘ ich gerne: dass ich so bleiben kann, wie ich bin, dass ich mich nicht ändern muss - und dass trotzdem alles im Lot ist. Aber wir alle wissen: so einfach ist es nicht! Wer fitter werden will, kann nicht einfach im Sofa sitzen bleiben und Chips essen, sondern der muss raus und sich bewegen. Und wer ‘ne gute Zensur in der Klassenarbeit schreiben will, der kann nicht einfach die ganze Zeit am Computer rumdaddeln, sondern der müsste irgendwie auch’n bisschen lernen. Ohne Änderung wird es oft nicht gehen. Das weiß auch dieses alte Prophetenwort. Und es sagt:  dort, wo eine Änderung in meinem Leben ansteht, da wird Gottes Wort immer daran arbeiten, dass ich umkehre.  Wenn jemand auf dem falschen Weg ist, dann muss er umkehren, sonst landet er in der Sackgasse. Und ohne Gott sind wir in der Sackgasse! Wenn wir nicht danach fragen, was ER für unser Leben will, dann werden wir das Ziel für unser Leben verfehlen.  Wir sind dann wie Blumen, die von der Wurzel abgeschnitten sind. Eine Zeitlang machen sie noch einen blühenden Eindruck, aber es dauert nicht lange, dann lassen sie die Köpfe hängen und gehen ein. Darum ist es nötig, umzukehren. Zurückzukommen auf den Weg, den Gott für uns möchte.
So weit, so gut und viele werden denken: „Jo, so is dat!‘   Aber das mit der Umkehr hören wir besonders gerne, wenn andere davon betroffen sind: „Danke, Herr Pastor, heute haben Sie es meinem Nachbarn mal wieder so richtig gegeben!“ Aber das ist nicht der richtige Blickwinkel! Wir sollen nicht auf andere kucken, sondern auf uns selbst! Was Gott mir zu sagen hat und wo er mir eine Umkehr zumutet.
Der Prophet Jeremia wollte, dass die Menschen aufwachen und Gottes Wort vertrauen. Damit es ihnen besser geht und damit sie Heil und Leben finden. Freude und Glück. Trost und Halt. Und umkehren dort, wo es nötig ist. Das wünscht sich Gott auch heute und auch für uns! Darum lässt er Sein Wort sagen – jeden Sonntag wieder – und viele merken: das tut mir gut! Amen!


 

 

    
Predigt über Johannes 3, 3-7; Trinitatis; 11.06.2017

 
Unter den Pharisäern gab es einen Mann namens Nikodemus; er war ein Mitglied des Hohen Rates. Eines Nachts kam er zu Jesus: ‚Rabbi‘, sagte er, ‚wir wissen, dass Gott dich als Lehrer zu uns gesandt hat. Denn niemand kann die Wunder tun, die du vollbringst, wenn Gott sich nicht zu ihm stellt.‘   Darauf erwiderte Jesus: ‚Ich versichere dir, Nikodemus: Wer nicht neu geboren wird, kann Gottes Reich nicht sehen und erleben.‘  Verständnislos fragte der Pharisäer: ‚Wie kann jemand neu geboren werden, wenn er schon alt ist? Er kann doch nicht wieder in den Mutterleib zurück und noch einmal auf die Welt kommen!‘   ‚Ich versichere dir‘, entgegnete Jesus, ‚nur wer durch Wasser und durch Gottes Geist neu geboren wird, kann in Gottes Reich kommen!   Ein Mensch kann immer nur menschliches Leben hervorbringen. Wer aber durch Gottes Geist geboren wird, bekommt neues Leben.  
Wundere dich deshalb nicht, dass ich dir gesagt habe: ›Ihr müsst neu geboren werden.‹

 
Liebe Gemeinde, es trifft sich gut, dass wir heute eine Tauffamilie hier haben, eine Familie, in der vor kurzem ein Kind geboren wurde, der kleine Till – und vor fast fünf Jahren seine große Schwester Sophie!  Ich weiß ja nicht, wie das so im Einzelnen gelaufen ist. Ob dir, Friederike, während der Schwangerschaft immer schlecht war oder so.  Aber als Sophie und Till dann da waren, da habt ihr bestimmt gekuckt: mit wem hat sie, mit wem hat er denn Ähnlichkeit? Vielleicht die Nase ganz von Mama! Die Füße von Papa! Und die Frisur von Opa!  Dass ein Mensch zur Welt kommt – faszinierend ist das!  Und genau das nimmt Jesus als Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Mensch Christ wird. Er sagt: „Wenn jemand nicht von neuem aus dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“   Jesus will uns damit deutlich machen: Wenn Mann und Frau einander lieben und ganz nahe kommen, entsteht ein neuer Mensch. Und wenn der Geist eines Menschen und der Geist Gottes einander ganz nahe kommen, entsteht ein neuer, geistlicher Mensch,  ein Christ. Bleiben wir doch ‘mal bei diesem Vergleich, dass Jesus das Christwerden mit einer Geburt vergleicht. Und da sind es vier Punkte, die gleich sind – bei der normalen Geburt und sozusagen bei der neuen Geburt, wenn man Christ wird.

 
Da ist erstens der schmerzliche Durchbruch. Ein anderer Mensch leidet und trägt Schmerzen, wenn man geboren wird. Und auch in Gottes Reich, in seine Familie hinein kommen wir nicht, ohne dass ein anderer Schmerzen hat. Und dass wir diesen Durchbruch schaffen, das ermöglicht einzig und allein Jesus am Kreuz. Es gibt keine „sanfte Geburt“ in den Himmel hinein. Sondern Jesus hat mit seinen Schmerzen am Kreuz für uns den Weg in die Familie Gottes hinein frei gemacht.  Das war nötig, weil uns Menschen ganz viel von Gott trennt.  Dinge, die wir selbst nicht in Ordnung bringen können. Und darum verschafft Gott uns selbst den Durchbruch - durch das, was Jesus tut: Er trägt die Schmerzen, er investiert alle Kraft, damit wir zur Welt kommen, zu seiner Welt. Meine Mutter hat mich unter Schmerzen zur Welt gebracht. Und Jesus bringt mich unter Todesschmerzen zu Gott. Ohne das gibt es kein Christwerden.

 
Das zweite: Zu einer Geburt gehört es, zum ersten Mal ganz nah am Vater zu sein.
Klar – bis zur Geburt sind wir Väter auch emotional beteiligt. Wir freuen uns mit, wir unterstützen unsere Frau, so gut wir können. Vielleicht gehen wir mit zum Schwangerschaftskurs und kucken uns den Kreißsaal vorher an.  Aber trotzdem: so die ganz enge Verbindung zu unserem Kind, die haben wir nicht so wie ihr Frauen, ihr Mütter. In Euch wächst das neue Leben schließlich und das ist was ganz außergewöhnliches, das wir nicht toppen können.  Und darum war es für mich jedes Mal ein ganz total umwerfendes Erlebnis, wenn ich dann bei der Geburt unserer Kinder dabei sein konnte. Und ich kann das nicht in Worte fassen, was ich dabei empfunden habe, als dann das kleine Bündel Menschen bei mir auf’m Arm lag. Das erste Mal ganz nahe bei mir. Wahnsinn! Dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit und Nähe!  Genau dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit und Nähe empfindet auch Gott! Wenn ein Mensch, dem er das Leben geschenkt hat, seine Nähe teilt. Wenn er spürt: dieser Mensch ist jetzt ganz nahe bei mir! Erkennt mich als Vater. Wird Zutrauen zu mir bekommen. Wird von mir ganz wesentliche Hilfe dazu bekommen, dass er sein Leben leben und was draus machen kann. So wie wir total happy sind, wenn wir Vater geworden sind, so geht Gott es mit uns auch! Er möchte uns ein guter Vater sein.   Noch besser, als wir Vater sein können. Und so wie normalerweise ein Vater für seine Kinder da ist, ist Gott für uns da. Ganz eng mit uns verbunden. Darauf weist das hin, was der Apostel Paulus dazu schreibt, was passiert, wenn man Christ wird: „Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: ‚Abba, lieber Vater.‘ (Röm 8,15)  Ein Vergleich: Prinz Charles hat viele Titel: Thronfolger, Seine Königliche Hoheit, Prinz von Wales, Herzog von Cornwall, befehlshabender Oberst des Königlichen Regiments von Wales, Herzog von Rothesay, Großmeister des Bath-Ordens, Earl von Chester, Earl von Carrik, Baron von Renfew und Great Steward von Schottland. Und wenn er jetzt reinkäme, müssten wir „Seine Königliche Hoheit“ zu ihm sagen. Aber für seine Söhne ist er vermutlich einfach nur „Daddy“, Papa – auch wenn sie inzwischen selbst längst erwachsen sind.  Christsein bedeutet diese Nähe zu Gott. Dass wir trotz der unvergleichlichen Größe Gottes zu ihm ‚Vater‘ sagen dürfen.

 
Als Drittes gehören zu einer Geburt die Familie und die Ähnlichkeiten innerhalb der Familie. Das Kind trägt die Merkmale von Vater und Mutter mit sich, denn aus deren Liebe ist es entstanden. Beim Christsein ist es auch so. Wenn wir durch Gottes Geist neu geboren werden, dann müssen ja wohl auch Merkmale von Christen da sein und feststellbar sein.  
Über diese Merkmale von Christen kann man sich gepflegt streiten. Ob die erlöster gucken, immer friedfertig und freundlich zu sein haben oder nie lügen, nicht rauchen oder immer zur Kirche gehen. Alle diese Beispiele sind übrigens durchaus bedenkenswert! Aber am Ende kann man sicher darüber so viel diskutieren, wie über die Frage, ob ein Kind nun die Augenfarbe von Tante Ilse oder doch eher von Oma Hilde hat: jeder sieht das erst mal so, wie es ihm am besten in den Kram passt und was er gerne sehen möchte.  Aber trotzdem ist ja jedes Kind ein Individuum, eine unverwechselbar eigene Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit, die entwickelt sich so nach und nach.   Klar – die Geburt ist was ganz Entscheidendes.  Aber dann geht’s erst richtig los! Dass ich nach und nach in mein Leben hineinwachse. Dass ich irgendwann mitkriege, wer meine Mama und wer mein Papa ist, wer meine Schwester und mein Bruder ist.  Aber auch die entferntere Verwandtschaft: welche Tante immer was mitbringt und welche nicht. Mit welchem Onkel man viel Spaß haben kann und wer so toll erzählen kann. Das lernt man alles so nach und nach. Und dafür muss man sich nicht großartig anstrengen, das kommt einfach so. Genauso wie die Sachen, die in meiner Familie so üblich sind. Dass wir zum Beispiel zu bestimmten Zeiten zusammen sind. Beim Teetrinken vielleicht oder beim Abendessen,  oder Sonntagnachmittags.  Solche Lebensgewohnheiten gibt es ja auch im Leben der „Familie Gottes“. Und wie Kinder im Laufe der Zeit immer mehr dazulernen, so ist das mit Kindern Gottes auch. Dafür muss man sich im Normalfall auch gar nicht besonders anstrengen. Es wird dann ganz normal, dass ich mit denen zusammen bin, mit denen ich in dieser Familie zusammen gehöre. Dass Menschen zum Beispiel zum Gottesdienst gehen – nicht, weil sie das „müssen“ oder so. Aber sie merken: da gehöre ich hin, da habe ich meinen Platz. Und es tut mir gut, dass ich da bin und den anderen tut es auch gut. Wie bei einem Familienfest.

 
Und in einer ‚richtigen‘ Familie, da packt nor-malerweise auch jeder mit an. So wie er kann und wie es gebraucht wird. Und in der Gemeindefamilie ist das nicht anders. Da helfen auch viele mit. Weil es für sie ganz selbstverständlich ist – und sie spüren ja auch, dass sie gebraucht werden.  Aber dass jemand Christ geworden ist, das hat dann auch noch andere
Auswirkungen: irgendwann werde ich anfangen, dass ich meinen Lebensstil checke und frage: passt dies oder das eigentlich zu meinem Glauben? Anders gesagt: lasse ich Gottes Geist eigentlich mein Verhalten, mein Auftreten, meine Überzeugungen prägen? Frage ich
in meinem Alltag danach, was Gottes Willen ist? Oder mache ich immer nur „mein Ding“?  
Natürlich - wir machen nicht alles richtig  –  aber vielleicht merken wir: es stört mich, dass ich dies oder das nicht richtig gemacht habe! Ich bin wieder mal viel zu schnell gefahren oder zu dicht aufgefahren; ich hab wieder mal meine Kollegen mürrisch angemacht - genauso wie früher auch, als ich noch nicht Christ war. Aber damals hat es mich nicht weiter gestört - und heute merke ich: ich möchte es besser hinkriegen! Und wenn es mal nicht klappt, dann üb’ ich es eben!

 
Die Familie. Sie gehört dazu. Ich werde in sie hinein geboren. Und zu dieser Familie gehören ja auch noch andere. Ob ich will oder nicht. Ob ich sie mag oder nicht. Freunde kann ich mir aussuchen, meine Familie nicht. Da kann man nicht Onkel Hans irgendwo bei der
Reklamation abgeben, den Bruder umtauschen gegen eine Schwester oder im Kreißsaal sich lieber der netten Hebamme anschließen als den feucht küssenden Großtanten. Familie ist Familie.  Christsein gibt es auch nicht ohne Familie. Wenn Gott uns zu seinem Kind macht, dann haben wir immer auch schon Geschwister und noch andere werden dazukommen, ob es einem passt oder nicht. Und von Gott her war Familie nie als Ballast gedacht, sondern als die Kerngemeinschaft, in der ich Liebe, Vertrauen und Leben in stabilen Verhältnissen üben
kann, die für die Entwicklung einer Persönlichkeit total wichtig ist.  Klar – wir wissen alle: das klappt nicht immer! Jeder hat auch seine Grenzen! Und manchmal gibt’s auch Knatsch. Aber in einer Familie verträgt man sich dann nach einer gewissen Zeit dann auch wieder. Und was für die leibliche Familie gilt, gilt auch für die geistliche. Wachsen und sich entwickeln wird sich unser Glaube wie von selbst, wenn wir innerhalb der Familie leben.

 
Dass Menschen geboren werden, ist was ganz Tolles und ein Wunder. Dass es Till und seine große Schwester Sophie gibt – großartig! Und genau so großartig ist es, wenn Menschen sozusagen neu geboren werden. Wenn sie Vertrauen zu Jesus Christus bekommen. Und auch das passiert bis heute. Auch in unserer Gemeinde. Und ich bin mir sicher: die Freude darüber ist nicht nur auf unserer Seite. Gott macht mindestens solche Luftsprünge und hat Tränen vor Rührung in den Augen, wie Eltern bei einer Geburt: „Du bist mir willkommen mein Kind!“ Amen.


    
Predigt vom 05.06.2017
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